Die Blendende Klinge
herabfallenden Gegengewichts und des vom Wurfarm emporgeschleuderten Korbes ließ die Schreie der Frau untergehen. Vielleicht hatte sie einen solchen Schlag auf die Brust erhalten, dass ihr zunächst die Luft wegblieb. Als sie dann in der Luft war, konnte man sie indes wieder schreien hören.
Es blieb dieser Frau auch viel länger Zeit zum Schreien. Die Techniker hatten die Position des Fixierbolzens verschoben, und die Frau flog hoch in die Luft und Hunderte Schritt weit in die Stadt hinein.
Die Menge jubelte, auch wenn einige enttäuscht schienen, das Ableben der Frau nicht auf solch spektakuläre Weise miterleben zu können wie bei ihrer Vorgängerin.
Der Farbprinz schien nun genug zu haben. Er zog sich in sein Zelt zurück und übertrug das Heft des Handelns einem seiner bevorzugten Blauen, einem einflussreichen jungen Mann namens Ramia Corfu. Liv stand wie versteinert da, den Brief in ihrer Hand. Sie hatte alles gelesen. Ihn erneut zu lesen änderte nichts. Es gab keine versteckten Botschaften.
Zwei Stunden und sieben Tode später öffneten sich die Tore, und vierhundertfünfzig schwarzgekleidete Luxiaten wurden unter Bewachung hinausgeführt. Die Männer des Farbprinzen nahmen sie noch innerhalb der Schatten der Stadtmauer von ihren Wächtern in Empfang. Der Militärberater des Prinzen hatte davor gewarnt, dass die Belagerten Bewaffnete in Luxiatenkleider stecken könnten, die dann ein Attentat versuchen würden, wenn sie sich dem Farbprinzen näherten.
Doch stattdessen nahmen die Luxiaten die Wachablösung fügsam hin, ließen sich ohne Murren nach Waffen durchsuchen und trotteten bereitwillig ins Lager des Farbprinzen hinüber.
Merkwürdig, dachte Liv. Selbstmörderisch. Setzten ihre Freiheit ein, um ihre Freiheit zu verlieren. Gaben alle Macht ab. Das war Wahnsinn. Sie warf einen erneuten Blick auf den Brief.
Als die Luxiaten schließlich bei ihnen angekommen waren, nahm sie der Farbprinz persönlich in Empfang. Er saß auf Morgenstern, seinem beeindruckenden weißen Hengst.
»Ach nein, Neta Delucia«, begrüßte der Farbprinz eine Frau in der ersten Reihe. »Ich hatte ja keine Ahnung, dass Ihr nun den schwarzen Talar angelegt habt. Eure Hingabe ist, wenn auch leider verblendet, doch … erfrischend.«
Neta Delucia war jene Stadtmutter, von der der Prinz gesagt hatte, dass sie die Gegenpartei anführen werde. Anscheinend war der junge Corregidor also letztlich doch erfolgreich gewesen.
Neta spuckte in die Richtung des Farbprinzen. »Ihr habt ihn Euch gekauft . Diesen kleinen Feigling. Den kleinen Verräter. Ich wusste es von Anfang an.«
»Mir war klar, dass Ihr die Einzige wart, die ihn vielleicht stoppen könnte«, erwiderte Koios. »Wie hat er es also geschafft zu siegen?«
»Eine halbe Stunde bevor meine Männer eintrafen, um ihn ins Gefängnis zu stecken, hat er angegriffen.«
»Ich könnte eine schlaue Frau gebrauchen, die willens ist, das zu tun, was jetzt getan werden muss«, fuhr der Prinz fort.
Neta sah ihn an, als könnte sie es nicht glauben, eine zweite Chance zu erhalten. Nach einem kurzen Moment fiel sie auf die Knie, ohne auf all die zum Tode verdammten Männer zu achten, die dabei zusahen. »Mein Herr, ich wäre glücklich, wenn ich … ich wäre hocherfreut und geehrt, wenn ich Euch dienen könnte.«
»Und wer ist jetzt der Verräter?«, fragte der Farbprinz. Er wandte sich von ihr ab.
»Aber mein Herr! Ihr habt gesagt, dass Ihr mich bräuchtet!«, rief sie mit gellender Stimme.
»Genug davon«, sagte der Prinz.
»Mein Herr! Oh, mein Herr! Bitte! Bitte!«
»Bringt sie zum Schweigen«, befahl der Prinz.
Ein Soldat machte einen Schritt nach vorn und fuhr ihr mit seinem Dolch über den Hals. Blut spritzte aus ihrer Kehle, und sie sackte zusammen. Da lag sie auf dem Boden und hauchte ihren Atem aus.
Liv überkam eine Welle der Übelkeit, und sie wandelte schnell Ultraviolett, um ihre Beherrschung wiederzufinden.
»Ich habe nicht gemeint, dass ihr sie töten sollt!«, sagte der Prinz. »Ich – egal. Sie hat es ohnehin nicht verdient, bei diesen Dienern von Orholam zu sein.« Er erhob seine Stimme. »Luxiaten, ich verachte alles, was ihr liebt, und ich verabscheue, was ihr den Sieben Satrapien angetan habt. Aber ich bewundere euren Mut. Euer Tod wird Tausenden auf beiden Seiten das Leben retten. Für diese Tat bewundere ich euch. Sterbt wohl.«
Der Farbprinz wandte sich an die Soldaten, die sie bewachten. »Bindet sie an Händen und Füßen. Alle.« Einige wenige
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