Die Blendende Klinge
weinten, aber keiner wehrte sich, und niemand schrie. Dann, während sich Hunderte von Soldaten mit Seilen in den Händen hinabbückten und die widerstandslosen Luxiaten fesselten, drehte er sich zu seinen versammelten Leuten um.
»Meine Brüder und Schwestern, heute ist der erste Tag einer neuen Ordnung!« Jubelrufe unterbrachen ihn, und er musste warten, bis sie sich gelegt hatten. »Heute gehen wir unsere ersten Schritte aus der Dunkelheit hinaus.« Weitere Jubelschreie. Liv kam es ein wenig so vor, als sei Koios verärgert, weil man ihn nicht ausreden ließ. Sie nahm an, dass er noch nicht oft zu großen Mengen gesprochen hatte, besonders nicht zu gewaltigen, enthusiastischen Menschenmassen, denen Sieg und Blutrausch zu Kopf gestiegen waren. »Wir sind von der Chromeria und ihren Luxiaten an Ketten gelegt worden. Wollen wir uns das noch länger gefallen lassen?«
»Nein!«, schrien ein paar Männer.
»Wollen wir uns weiterhin von der Chromeria vorschreiben lassen, was wir zu tun haben?«
»Nein!«, stimmten viele in der Menge mit ein, die nun zu begreifen schien. Es war wie die alte Wechselrede von Ruf und Antwort, aber diesmal richtete sie sich gegen die Luxiaten, statt sich im Dialog mit ihnen zu vollziehen.
»Werden wir einfach sang- und klanglos in die Finsternis gehen?«
»Nein!« Dieses Mal stimmten alle mit ein, selbst jene, die so weit entfernt standen, dass sie die Frage des Prinzen überhaupt nicht gehört haben konnten.
Das ist der Pöbel, dachte Liv. Die Bestie. Aber Bestien können gebändigt und dienstbar gemacht werden.
»Unsere Zukunft liegt vor uns. Unsere Siege liegen vor uns. Hier, vor unseren Augen!« Er deutete auf die Stadt, wo sich im gleichen Moment die Tore öffneten.
Genau der richtige Zeitpunkt, dachte Liv. Die Karte gut ausgespielt …
Ein gewaltiges Hurra erhob sich, aber der Farbprinz war noch nicht fertig. »Zwischen uns und unserer Zukunft stehen die Luxiaten.« Er deutete auf sie. »Werden wir uns von ihnen aufhalten lassen?«
»Nein!«
»Dann würde ich sagen, wir ziehen jetzt los. Ich würde sagen, wir marschieren einfach über jene hinweg, die uns aufhalten wollen.«
»Ja!«
»Wenn Opfer gebracht werden müssen, so lasst sie die Opfer sein!«
»Ja!«
»Seid ihr dabei?«
»Ja!«
Er warf Liv einen raschen Blick zu und sagte leise: »Seid Ihr dabei?«
Sie schluckte. Warf einen letzten Blick auf den Brief. Ließ ihn in den Dreck fallen. »Gehen wir.«
Und, Orholam stehe ihnen bei, das taten sie. Die Soldaten legten die gefesselten Luxiaten auf die Straße, und die ganze Armee marschierte über sie hinweg. In unbekümmertem Gleichschritt, als überquerten sie einfach schwieriges Gelände, schenkten sie dem Leben unter ihren Stiefeln keinerlei Beachtung.
Nachdem die Armee über sie hinweggezogen war, folgten die weißgekleideten Wandler des Farbprinzen. Ihre langen weißen Gewänder schleiften durch das Blut und erhielten rote Ränder.
Dann kamen alle Übrigen. Einige versuchten, nicht auf die ächzenden und schreienden Männer und Frauen zu treten. Andere stapften mit Absicht auf Finger und zwischen die Beine oder trugen Steine mit sich, um Schädel zu zerschmettern. Bald schon spielte das alles keine Rolle mehr. Die Körper verwandelten sich in Brei und die Straße in einen blutigen Sumpf, als der Blutbrei mit der gleichgültigen Erde vermischt wurde. Liv hörte später, dass einige der Luxiaten das Glück oder Pech hatten zu überleben, bis die schwerbeladenen Wagen mit ihren eisenbeschlagenen Rädern, die die Nachhut der Armee bildeten, über sie hinwegrollten.
Siegreich, jubelnd, von der eigenen Allmacht trunken, drang die Armee in die Stadt ein. Und bald schon marschierten sie weiter, aber nun trugen sie Namen, die sie in Schlacht und Blut erworben hatten. Namen für ihre Unerbittlichkeit. Einige nannten sie die Blasphemisten, und das waren sie. Manche nannten sie die Luxiaten-Jäger, und die wurden sie. Manche nannten sie Rotröcke, und für sie war das Blut ein Zeichen ihrer Bösartigkeit. Sie nahmen all diese Namen hin und marschierten weiter. Und jeder Wandler unter ihnen pflegte liebevoll das Blut am Saum seines Gewandes, und nach jedem Waschen tauchten sie die Säume in Rinderblut, um die Flecken zu erneuern. Es verlieh ihnen einen scharfen Geruch, besonders wenn sie in Scharen vorbeizogen. Doch sie nannten ihn den Duft der Freiheit, das Opfer der anderen. Manche bezeichneten sie leise als Tiere. Sie selbst nannten sich unbezwingbar. Sie selbst
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