Die Blendende Klinge
darum.
Krach! Kip zuckte zusammen, als der Rohrstock so hart auf den Tisch schlug, dass die Platte wackelte – nur knappe zwei Daumen entfernt von seiner Hand.
»Kinder, manchmal braucht man sowohl beim Wandeln wie auch im Leben den Preis für falsches Benehmen nicht zu bezahlen«, erklärte Magistra Kadah. »Vor allem wenn man ein Guile ist. Kip, mir gefällt deine Einstellung nicht«, fügte sie hinzu. »Geh und warte im Flur.«
Kip stand auf und trat auf den Flur hinaus, wobei ihm zwanzig Augenpaare folgten. Seine Mitschüler kamen von überall aus den Sieben Satrapien: dunkelhäutige Parianer, die Mädchen mit offenem Haar, die Jungen mit Ghotras auf den Köpfen; olivhäutige Atashi mit strahlend saphirblauen Augen; und jede Menge Ruthgari mit kleinen Nasen, schmalen Lippen und hellerer Haut, einer von ihnen sogar blond. Kip war der einzige Tyreaner, obwohl er eher wie eine Promenadenmischung aussah: sein Haar kraus wie das eines Parianers, aber er hatte nicht deren hageren, anmutig wirkenden Körperbau; die Augen blau wie die eines Atashi, aber die Haut dunkler als deren olivfarbener Teint, auch fehlte die typisch markante Nase. Es schimmerten sogar einige Sommersprossen durch seine Haut, als sei er zum Teil Blutwäldler.
»Sie werden dich um meinetwillen hassen«, hatte sein Vater zu ihm gesagt. Dann war wieder dieses schiefe, charmante Guile-Lächeln aufgeblitzt. »Aber keine Sorge, es dauert nicht lange, und dann werden sie dich auch um deiner selbst willen hassen.«
Heute war sein erster Tag, also ging Kip davon aus, dass er diesmal noch um Gavin Guiles willen gehasst wurde.
Als er auf den Flur hinaustrat, war Samite verschwunden. Kip vermutete, dass die Schwarzgardisten in Schichten arbeiteten. Sie hatte wahrscheinlich gedacht, dass er eine Schulstunde überstehen konnte, ohne in Schwierigkeiten zu geraten.
Tja.
Tu dir keinen Zwang an, dachte er, als er sich auf den Flurboden setzte, bemitleide dich nur selbst. Du bist als ein Bastard des mächtigsten Mannes der Welt anerkannt worden. Er hat dir viele Male das Leben gerettet, und er hat dir die Wahl gelassen. Du hättest die Chromeria auch anonym aufsuchen können. Und du hast dich für dies hier entschieden.
Doch Kip hatte geglaubt, hier zumindest einen Freund zu haben. Liv war hier gewesen, bis Garriston. Sie war nett gewesen, auch wenn sie ihn als eine Art kleinen Bruder betrachtet hatte. Aber jetzt war sie fort, kämpfte für den Farbprinzen und hatte sich dafür entschieden, einlullende Lügen zu glauben. Kip hasste sie dafür, verachtete sie dafür, dass sie den einfachen Ausweg gewählt hatte – aber vor allem vermisste er sie.
Er setzte sich dichter an die Tür, versuchte, Magistra Kadahs Unterricht mitzuhören und über Magie nachzudenken, damit er an nichts anderes denken musste. Sagte die Magistra gerade etwas über die Eigenschaften von grünem Luxin? Er spielte mit dem Gedanken, gleich hier auf dem Flur welches zu wandeln. Das war jedoch eine schlechte Idee. Grün machte wild, brachte einen dazu, Autoritätspersonen zu missachten. Dafür war jetzt ein schlechter Zeitpunkt. Er musste jedoch lächeln bei dem Gedanken.
»Seid Ihr Kip?«, riss ihn eine Stimme aus seinen Gedankenspielen. Der Sprecher war ein kleiner, glattrasierter und sehr dunkelhäutiger Parianer, der ein gestärktes Kopftuch und ein Sklavengewand aus erlesener Baumwolle trug.
»Ähm, ja.« Kip stand auf, und die Kugel des Grauens, die ihm in die Magengrube sackte, sagte ihm, wer diesen Sklaven geschickt hatte.
Der Mann musterte ihn lange und offensichtlich abschätzend, ließ sich sein Urteil jedoch nicht anmerken. Kip wusste von Gavin, dass Andross Guiles oberster Sklave und rechte Hand den Namen Grinwoody trug. Grinwoody sagte: »Luxlord Guile wünscht Euch zu sehen.«
Luxlord Guile, also Lord Andross Guile, einer der reichsten Männer auf der Welt mit Besitz überall in Ruthgar, dem Blutwald und in Paria. Im regierenden Rat der Satrapien, bekannt als das Spektrum, war er der Rote. Vater zweier Prismen, Gavins und des Rebellen, der die Welt beinahe zerstört hätte, Dazen. Andross Guile war, so glaubte Kip, der einzige Mensch auf der Welt, den Gavin Guile fürchtete.
Großvater.
Und Kip war ein Bastard, ein Schandfleck auf der Familienehre. Und Felia Guile, Kips Großmutter, die einzige Person, die Andross Guiles Tyrannei zu besänftigen vermocht hatte, war jetzt tot.
Aber bevor Kip mit dem Kopf voran gegen diese nächste Mauer knallen würde, hatte er noch
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