Die Blendende Klinge
draußen.« Es war ihm bereits peinlich genug, dass er eine Leibwächterin hatte. Er warf einen Blick in das Unterrichtszimmer und versuchte, seine Nervosität zu verbergen, während die anderen Schüler an ihm vorbeiströmten. Er hatte Hunger. Was würde er jetzt für eine Pastete geben! Er fragte: »Irgendetwas, was ich, ähm, wissen sollte?«
»Es wird von dir erwartet, dass du nichts weißt.«
»Ah, dann werde ich die Erwartungen vielleicht sogar noch übertreffen.«
12
»Mit jedem Wandeln beschleunigt ihr euren Tod«, sagte Magistra Kadah. Sie war noch keine vierzig, aber sie wirkte bereits verhutzelt und runzelig. Sie war mausgrau, mit vorgebeugten Schultern und Haaren, die seit Wochen keine Bürste oder Spange gesehen hatten, trug an einer Goldkette eine grüne Brille um den Hals und hielt einen dünnen Rohrstock aus grünem Luxin in der Hand. »Euer Tod fällt nicht ins Gewicht, aber es fällt durchaus ins Gewicht, wenn ihr damit eurem Satrapen ein teures Werkzeug raubt. Euer Tod fällt nicht ins Gewicht, aber wenn ihr eurer Gemeinschaft nehmt, was sie zum Überleben benötigt, fällt das durchaus ins Gewicht. Wir, die wandeln, sind Sklaven. Sklaven Orholams, Sklaven des Lichts, Sklaven des Prismas, der Satrapen und unserer Städte.«
Klingt ja ermutigend. Kip versuchte, seinen Gesichtsausdruck während seiner ersten Unterrichtsstunde in der Chromeria möglichst neutral zu halten.
»Erst die Lügen, dann die Lektionen«, murmelte ein Junge hinter Kip.
»Was?«, fragte Kip und blickte über die Schulter. Der Junge trug eigenartigerweise eine Brille mit durchsichtigen Gläsern. Sie hatte ein dickes schwarzes Mahagonigestell, hinter dem seine noch dickeren, buschigen schwarzen Augenbrauen zu sehen waren. Die Gläser ließen ein Auge größer erscheinen als das andere. Aber noch faszinierender als sein Ruthgari-Äußeres – gelocktes hellbraunes Haar, kleine Nase, gebräunte Haut, braune Augen – war die Mechanik der Brille selbst. Zwei farbige Brillengläser, gelb und blau, die an Scharnieren angebracht waren, konnten jederzeit über die durchsichtigen Gläser geklappt werden.
Der Junge grinste, als er sah, wie Kip ihn anstarrte. »Mein eigene Konstruktion«, erklärte er.
»Genial. Ich habe noch nie …«
Etwas knallte wie ein Musketenschuss auf Kips Schreibtisch. Kip zuckte heftig zusammen. Er blickte auf den grünen Luxin-Stock in der Hand der Magistra. Sie hatte damit auf seinen Schreibtisch geschlagen und Kips Fingerspitzen um eine Daumenbreite verfehlt.
» Meister Guile«, sagte sie.
Sie ließ die Worte in der Luft hängen und verkündete damit jedem in der Klasse, der noch nicht gewusst hatte, wer er war, dass er tatsächlich ein Guile war. Und sie tat es mit Absicht.
Als Nächstes stellt sie unter Beweis, dass es ihr völlig gleichgültig ist.
»Denkt Ihr, Ihr seid besser als der Rest der Klasse, Meister Guile?«
Die Versuchung war groß, aber Kip hatte seine Befehle. Er sollte sich in seinen Kursen gut schlagen. Aus einem von ihnen hinausgeworfen zu werden würde ihm nicht helfen, dieses Ziel zu erreichen. »Nein, Magistra«, antwortete er. Er dachte, dass er es sogar aufrichtig klingen ließ.
Sie war keine imposante Gestalt, weder groß noch breit, aber sie baute sich vor Kips Platz auf. Er lehnte sich so weit von ihr weg, wie sein Stuhl es zuließ. »Verstehen wir einander, junger Mann?«, fragte sie.
Es war eine seltsame Art der Formulierung, da sie keine ausdrückliche Drohung ausgesprochen hatte, aber das brauchte sie auch nicht. »Ja, Magistra«, sagte Kip.
»Scholaren, ich bin mir sicher ,dass ihr euren neuen Klassenkameraden bemerkt habt.« Aus der Art, wie sie es sagte, ging nicht klar hervor, ob sie darauf anspielte, dass Kip fett war, oder nicht. Einige Schüler kicherten nervös. »Sein Name ist Kit Guile und …«
»Kip«, warf Kip ein. »Nicht Kit wie Fensterkitt, sondern Kip wie die Kippe.« Er wusste, dass er einen Fehler machte, noch bevor ihm die Worte ganz herausgerutscht waren.
»Aha. Danke. Ich habe vergessen, dass das Gossen-Tyreanisch seine eigene Art hat, die Worte zu definieren. Streck die Hand aus, Kip.«
Er gehorchte und begriff nicht ganz, warum er das tun sollte, bis sie den grünen Stock über seine Knöchel schlug.
Es raubte ihm den Atem.
»Unterbrich niemals einen Magister, Kip. Selbst wenn du ein Guile bist.«
Er schaute auf seine Fingerknöchel hinab, völlig davon überzeugt, dass sie nun blutig sein würden. Sie waren es nicht. Die
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