Die Blendende Klinge
werden.
Eisenfaust setzte Fiel sanft ab, verlor durch diese Bewegung jedoch sein eigenes Gleichgewicht – und fiel vom Sims. Die Schwarzgardisten zogen Fiel zu sich heran, und ehe Teia überhaupt nur blinzeln konnte, hatten sich bereits zahlreiche Luxin-Seile um den Hauptmann gewickelt. Mit deren Hilfe zog er sich empor und stand auf. Er wirkte völlig ungerührt. »Sie sind alle tot«, sagte er. »Aber wir müssen uns beeilen.«
Er hatte in aller Seelenruhe ihre Arbeit begutachtet, während er vom Sims herabbaumelte? Pest und Cholera!
Während sie den Pfad hinaufeilten, erstrahlte die Sonne in ihrem vollen Licht. Als sie sich dem oberen Ende des Weges näherten, ging Teia wieder voraus und sah, dass sich hinter der letzten Biegung ein stabiles Holztor befand: drei Meter hoch und oben mit spitzen Nägeln beschlagen. Im Paryl-Licht konnte sie durch kleine Zwischenräume hindurch sehen, dass das Tor mit Eisen verstärkt war und auf der anderen Seite vier Männer standen. Der Abhang neben dem Tor war nicht ganz so steil wie der Rest des Kliffs, das sie gerade hinaufgestiegen waren, aber trotzdem zu steil, um emporzuklettern, während sich bewaffnete Männer über einem befanden. Sie meinte, unter den dort in Stellung befindlichen Soldaten die Umrisse von Speeren und Musketen ausmachen zu können.
Sie hatte den anderen kaum ihren Bericht erstattet, als die Kanonen über ihnen zu sprechen begannen. Während des gesamten Aufstiegs war Teia so sehr damit beschäftigt gewesen, nicht vom Pfad zu stürzen und zugleich nach Sprengfallen, Fallgruben oder entgegenkommenden Soldaten Ausschau zu halten, dass sie kaum einmal auf das Meer hinausgeblickt hatte. Der Ausblick war umwerfend. Einzigartig. Die Sonne gerade erst aufgegangen, die Bucht blau und weiter hinten blaugrün, die Segel der Schiffe im Wind gebläht, und jetzt erhoben sich dicke Rauchwolken von ihren Längsseiten: Die Flotte der Chromeria versuchte, in die Bucht einzudringen. Das Zentrum der Verteidigungslinien des Farbprinzen wurde nur von einigen wenigen kleinen Schiffen gehalten, die nun mit einer eigenen Salve antworteten.
»Lem«, sagte Hauptmann Eisenfaust. »Nach vorn.«
Ein kleiner nervöser Mann trat vor. »Hallo«, begrüßte er Teia. Er warf einen verstohlenen Blick auf ihren nicht existierenden Vorbau, dann hinauf in ihr Gesicht und zur Seite. »Heiße Lem. Eigentlich Will. Du weißt schon, von Will zu Willum, zu Lum und zu Lem.«
»Verstehe«, erwiderte Teia. Oder auch nicht.
»Das Besondere an Lem ist nicht, dass er verrückt ist«, sagte Lem. »Wir sind alle auf alle möglichen Arten verrückt. Aber Lem ist auf eine besonders wertvolle Art verrückt.«
»Und du erzählst mir bestimmt gleich, worin diese besteht«, entgegnete Teia, während er seinen Blick erneut auf ihre Brust senkte. Sie konnte nicht sagen, ob er irgendwie abnormal war oder Leuten einfach nur nie ins Gesicht sah.
»Unser Lem glaubt, im Dienste der Schwarzen Garde absolut alles vollbringen zu können. Unser Lem glaubt, der Fels vor ihm sei wie Butter. Ist ein bisschen langsam, unser Lem, was ganz gut ist, wäre ansonsten vermutlich gefährlich wie die Hölle. Das hat jedenfalls der Ausbilder gesagt. Weißt du, Lem kann für uns Griffe in den Fels schlagen, alles kein Problem. Hat einen Willen, der Andross Guile vor Neid weinen lassen würde wie ein kleiner Junge. Heiße eigentlich Will , wie Willen, verstehst du?«
»Klar«, sagte Teia.
Lem füllte sich mit blauem Luxin, dann beugte er sich verschwörerisch zu Teia. »Da ist was im Wasser«, raunte er.
Wie hat es dieser Sonderling bloß in die Schwarze Garde geschafft?
Er ist ein wertvoller Sonderling. So wie ich.
Lem streckte eine Hand aus und wartete. In einem halblauten Singsang zählte er Zahlen herunter. »Einundvierzig, dreiundfünfzig, siebenundvierzig, neunundfünfzig, nein, dreiundfünfzig, neunundfünfzig, einundsechzig, einundsiebzig, nein …«
Ein Hammer aus blauem Luxin schoss aus seiner Hand und bohrte sich in den Stein. Er blieb haften, und ein mit Haltestiften versehener Querstab senkte sich tief in den Stein hinein. Er bot einen guten Halt für Hände oder Füße. Lem prüfte den Halt, zog daran, um sich zu vergewissern, dass er kein Spiel hatte, dann holte er tief Atem. Er schüttelte die Hand, und acht weitere solche Steigeisen sprangen nacheinander in den Fels hinein. Eine vortreffliche Leiter.
Blaues Luxin – einfach in den Fels geschossen. Heilige Hölle. Gerade als Teia gedacht hatte,
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