Die Blendende Klinge
Tyreas. In unserer neuen Welt wird es einfach keine Rolle mehr spielen, wo jemand herkommt. Euer Haar und Eure Augen, was immer es ist, was Euch von anderen unterscheidet, wird Euch lediglich interessant machen. Wir werden ein Licht für die Welt sein. Wir werden die Ewigdunklen Pforten öffnen, die Lucidonius verschlossen hat, und Pässe über die Sharazan-Berge anlegen. Wir werden alle willkommen heißen. In jedem Dorf und jedem Städtchen wird Magie unterrichtet werden, und wir werden feststellen, dass viel, viel mehr Leute Talente haben, die sie einsetzen können, um ihr Leben und das Leben der Menschen um sie herum besser zu machen. Ihr Leben wird nicht in den korrupten Händen von Gouverneuren und Satrapen liegen. Und ich glaube, während wir mehr und mehr lernen, werden wir herausfinden, dass jeder vom Licht geküsst wurde. Eines Tages werden alle wandeln können. Stellt Euch nur vor, welche magischen Genies es selbst heute schon dort draußen gibt – Genies, die die Welt verändern könnten! Aber gerade jetzt sind es vielleicht Tyreaner, und sie können es sich nicht leisten, die Chromeria zu besuchen. Oder sie sind Parianer, und die Deya mag ihre Familie nicht. Oder Ilytaner und stecken bis zum Hals in dem Aberglauben, dass Magie böse sei. Denkt an all die Felder, die brach liegen. Denkt an Kinder, die nach Brot hungern, das sie nicht haben, weil es ihnen an Grünwandlern fehlt, die für eine fruchtbare Ernte sorgen. Die Chromeria hat ihr Blut an ihren Händen – und sie alle begreifen es nicht einmal! Es ist ein schleichender Tod, ein langsam wirkendes Gift. Die Chromeria hat das Leben Tropfen für Tropfen aus den Satrapien herausgesogen. Das ist unser Kampf, Aliviana. Für eine andere Zukunft. Und es wird nicht leicht sein. Zu viele Leute profitieren zu sehr von der gegenwärtigen Korruption, um ihre Vorteile einfach so aufzugeben. Und sie werden die Menschen losschicken, damit sie für sie sterben. Und das bricht mir das Herz. Sie werden genau diejenigen Menschen opfern, die wir befreien wollen. Aber wir werden sie aufhalten. Wir werden dafür sorgen, dass sie es nicht wieder tun können, dass all die noch ungeborenen Generationen eine bessere Welt vorfinden, als wir sie haben.«
»Alles, was Ihr sagt, klingt gut, aber erst müssen wir es anpacken, und Probieren geht über Studieren, nicht wahr?«, antwortete Liv.
Er lächelte breit. »Ja! Genau das ist es, was ich von Euch will, Liv. Wandelt. Auf der Stelle. Ultraviolett. Und denkt nach. Und sagt mir, was Ihr denkt. Ich werde Euch nicht bestrafen. Ganz gleich, was es ist.«
Sie tat wie geheißen, sog dieses fremdartige, unsichtbare Licht ein, ließ es durch sich hindurchströmen und spürte, wie es ihre Emotionen gleichsam von ihr abschälte, bis sie einen Zustand der Über-Rationalität, eine beinahe körperlose Intelligenz, erreicht hatte. »Ihr seid ein praktischer Mensch«, bemerkte sie tonlos. Wenn man sich in den Fängen von Ultraviolett befand, schienen Intonation und Betonung der Worte nur ein unnötiges Beiwerk. »Vielleicht auch ein Romantiker. Eine seltsame Verbindung. Aber Ihr habt den ganzen Tag alle möglichen Aufgaben erledigt, und ich frage mich, ob ich nicht vielleicht lediglich der letzte Posten auf Eurer Liste bin. Ich kann nicht erkennen, ob dies hier das Vorspiel zu einer Verführung ist oder ob Ihr einfach nur die Bewunderung von Frauen schätzt.« Ein Teil von ihr war entsetzt über das, was sie da soeben gesagt hatte – diese Anmaßung! Aber statt ihrer Scham errötend nachzugeben, vergrub sie sich tiefer in die Leidenschaftslosigkeit von Ultraviolett.
Der Prinz erwiderte spitzbübisch: »Selten ist der Mann, der nicht in Verzückung über Frauen gerät, die von ihm verzückt sind.«
»Also habe ich mit Letzterem in einem ganz banalen Sinne recht.« Er genoss ihre Aufmerksamkeit, ihre wachsende Ehrfurcht, aber er hatte sie kaum einmal berührt, selbst als er dafür einen Vorwand gehabt hätte. Er beugte sich nicht zu ihr vor, wenn sie sich unterhielten. Er war mit dem Intellekt beteiligt, aber nicht körperlich. »Allerdings ist dies keine Verführung.«
Sein Gesichtsausdruck zeigte keine reine Freude. »Leider hat das Feuer, das mir so vieles genommen hat, mich auch der Möglichkeit beraubt, mich an den schlichteren Freuden des Fleisches zu ergötzen. Nicht dass ich sie verschmähen würde. Aber ich kann nicht herumtollen wie ein Grüner.« Die durch die Brandnarben verursachte Unbeweglichkeit seines Gesichts und die
Weitere Kostenlose Bücher