Die Blendende Klinge
Dienste leistete, als es jede Rüstung vermocht hätte. »Haben hier alle Angst vor Wandlern?«, fragte sie.
»Angst? Sie achten uns, was nur recht und billig ist, meinst du nicht auch?«
»Ich vermute schon.«
»Du vermutest es? Ah ja. Das ist also der Grund, warum du einen Tutor brauchst.«
Das war nun wirklich herablassend, und es gefiel Liv überhaupt nicht.
»Die Chromeria macht die Menschen zu Sklaven, Liv. Sie gründet darauf, sich jene, die sie ausbildet, so sehr zu verpflichten, dass sie bestenfalls zu ihren Schuldknechten werden – wobei jene Schuldknechtschaft den Rest ihres Lebens umfasst. Mit anderen Worten, sie macht sie zu Sklaven. Die Freien lehnen das ab. Wir erkennen stattdessen die natürliche Ordnung so an, wie sie ist. Hast du dich etwa dafür entscheiden können, als große Schönheit geboren zu werden? Natürlich nicht. Aber du bist eine. Du kannst daraus machen, was du willst. Ganz ähnlich wurdest du auch als Wandlerin geboren. Wir könnten uns wünschen, dass auch alle anderen mit unseren Gaben geboren wären, und der Farbprinz sucht nach Wegen, wie sich dies tatsächlich bewerkstelligen ließe. Aber es bleibt die Tatsache, dass wir etwas Besonderes sind. Wir verfügen über eine Gabe, die andere Männer und Frauen nicht besitzen. Wir haben nichts getan, um uns diese Gabe zu verdienen – wir können nicht frei wählen, ob wir Wandler sein wollen. Aber wir sind es. Wir fordern von jenen, die über Begabungen verfügen, nicht, sich selbst in Ketten zu legen, so wie wir von guten Läufern nicht fordern, dick zu werden, nur damit wir uns unserer Langsamkeit nicht zu schämen brauchen. Wir sind, was wir sind, so wild und so frei, wie die Natur uns geschaffen hat. Wenn du als Wandlerin durch die Straßen gehst, wissen die Männer, dass du sie töten kannst, wenn sie dich anpöbeln. Sie können sich ängstlich vor dir in Acht nehmen oder es einfach so respektieren, wie sie eine Frau respektieren, die eine Pistole bei sich trägt. Wobei du als Wandlerin gegenüber der Pistole natürlich insofern im Vorteil bist, als diese nur einen einzigen Schuss hat.«
Sie kamen an Arbeitern vorbei, die die von Trümmern übersäten Straßen freiräumten, und schließlich erreichten sie einen kleinen Schneiderladen, der die Kämpfe unbeschadet überstanden hatte. Eine alte Frau begrüßte Liv. »Es ist so gut, Kundschaft zu haben! Vielen, vielen Dank – oh, und so schön seid Ihr! Ich werde ein wahres Wunder aus Euch machen. Mir liegt eine Bestellung über drei Kleider vor, ist das richtig?«, wandte sie sich an Zymun.
»Wenn Lord Omnichrom es so bestellt hat«, antwortete Zymun.
»Also schön, zieht Euch aus«, wies sie Liv an.
Liv sah erst sie an, dann Zymun, der keinerlei Anstalten machte zu gehen. »Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich dich jetzt bitten …«, sagte sie.
Er musterte sie von Kopf bis Fuß und grinste spitzbübisch. »Es macht mir eine ganze Menge aus, aber wie du wünschst. Du kannst es mir nicht verübeln, es zumindest versucht zu haben.«
Er trat nach draußen und ließ sie in den kundigen Händen der Schneiderin zurück. Die Frau nahm schnell ihre Maße, glich sie mit ihrer Körpergröße ab, ließ sie sich einige Male hin und her drehen, dann durfte sie sich wieder ankleiden. Sie fertigte rasch drei Entwürfe an und zeigte sie Liv. »Für Euch nur das Beste, verehrte Dame. Dieses erste Kleid wird aus Wolle gefertigt, aber es ist Ziegenwolle aus dem aborneanischen Bergland. Warm und doch so weich, dass Ihr es nicht glauben werdet.«
»Das klingt …« Wunderbar? Erstaunlich? »… teuer.« Liv verachtete sich selbst dafür, dass sie es sagte, aber sie war so lange arm gewesen, dass sie es sich nicht verkneifen konnte.
»Ha! Das ist noch gelinde ausgedrückt. Ich werde den Saum eures Seidenkleides mit echtem Purpur färben. Und natürlich werde ich auch die allerfeinste Seide verwenden. Wer würde echten Purpur darauf verschwenden, schlechte Seide zu färben? Zehntausend Purpurschnecken wurden allein für Euch gesammelt.«
Liv spürte ein flaues Gefühl im Magen. Seide? Echter Purpur? »Ich meinte nur … es tut mir wirklich leid. Ich meinte nur, dass ich kein Geld habe. Vielleicht schlichte Wolle? Und nur ein einziges Kleid?« In Wirklichkeit hatte sie nicht einmal dafür genügend Geld, aber sie war zu stolz, um einzugestehen, wie bitter arm sie war.
»Oh, Ihr hübsches kleines Ding, Ihr braucht doch nicht zu bezahlen! Lord Omnichrom kümmert sich um alles. Ein
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