Die blonde Geisha
ohne ein weiteres Wort, verschwand er durch den geheimen Eingang des Teehauses in die regnerischen Nacht, auf dem Weg in eine andere Welt, in die ich ihn nicht begleiten durfte. Die Reise zurück nach Amerika könnte achtzehn Tage dauern, wenn es kalt und stürmisch war, hatte Vater mir erklärt. Auch wenn durch das flache Wasser der Beringstraße keine Eisberge trieben, so bliesen doch grimmige Winde über die Aleuten-Inseln, und viele Schiffe gingen in der rauen See verloren. Ich betete, dass dem Schiff meines Vaters dieses Schicksal erspart bliebe und er sein Ziel sicher erreichen würde.
Ich hob das Kinn und streckte die Schultern. In diesem Land zeigte man seine Gefühle nicht, und so zwang ich mich, tapfer zu sein, damit mein Vater stolz auf mich wäre.
Zu dieser späten Stunde in dieser Sommernacht würde also meine Ausbildung zur Geisha beginnen. Oder zur Geiko, wie die Geishas im Dialekt von Kioto genannt wurden. Ich würde lernen, die perfekte Frau in einer künstlichen Welt zu sein, mit sinnlichen Lippen, auf denen ein gewinnendes aber zurückhaltendes Lächeln lag, mit funkelnden Augen, bereit zu verführen oder zu unterhalten.
Mir würden bessere Manieren beigebracht werden, ein ansprechendes Lachen und die Fähigkeit, kokett zu sein. Jede elegante Geste würde peinlich genau einstudiert werden – sei es das Senken des Blickes, das Beugen des Kopfes, um meinen entblößten Nacken zu zeigen oder die Bewegungen meiner langen Finger. Männer mussten sich bei mir wohlfühlen, nur darum ging es. Ich würde lernen, sie mit den Rundungen meines Körpers zu locken und sexuell zu erregen.
Ich drehte mich zu Simouyé um und verneigte mich.
“Ich bin bereit, meine Ausbildung zur Geisha zu beginnen.”
3. KAPITEL
S chnipp-schnipp.
Was war das für ein Geräusch? Es klang wie eine Schere. Mein Magen zog sich zusammen. Ich versuchte, die Augen zu öffnen. Es ging nicht. Hilflos lag ich da, unfähig, mich zu rühren, als wäre ich verhext.
Dann hörte ich etwas anderes. Ein Seufzen, noch ein Seufzen, gefolgt von weiterem
Schnipp-schnipp
, die Papiertür wurde aufgeschoben und ein Mädchen fragte: “Was tust du da, Youki-san?”
“Ich schneide ihr goldenes Haar ab.”
Mein
Haar?
Ich wollte mich wehren, konnte aber den Arm nicht heben.
“Warum, Youki-san? Es ist so schön.”
“Verstehst du nicht, Mariko-san? Sie wird alles verderben mit ihrem seidig goldenen Haar.”
Was verderben? Ich bemühte mich weiter, die Augen zu öffnen, meine Arme zu bewegen, meine Beine. Es ging nicht. Meine Lider lagen schwer auf den Augen, mein Körper war reglos wie die kalten, schleimigen Fische, die ich auf dem Landungssteg gesehen hatte, als mein Vater mir die ankommenden Schiffe zeigte.
So sehr ich es auch versuchte, ich konnte mich nicht rühren. Ich lag auf dem Rücken auf einer kratzigen Matratze in einem einfachen Kimono. Eine kühle Brise glitt über meinen Körper, als jemand neben mich trat. Ich hörte das Rascheln eines langen Gewandes auf der Tatamimatte und leise Schritte. Salzige Schweißtropfen benetzten meine Lippen und mein Kinn. Ich atmete tief durch und entspannte mich. Die Mädchen waren verschwunden.
Wo bin ich? Was ist geschehen?
Ich erinnerte mich daran, wie ich Simouyé die Treppe hinauf folgte in einen langen, niedrigen Raum, der durch goldene Wandschirme in drei Teile getrennt war. Bevor sie mich daran hindern konnte, rannte ich auf den Balkon und schaute in die Nacht, in der Hoffnung, meinen Vater zu sehen. Aber er war verschwunden.
Mein Herz schmerzte so, dass ich auf die Knie sank, die Finger in den mit zarten Ästen bemalten Wandschirm krallte und zu weinen begann. Ich betete zu den Göttern, hatte aber das Gefühl, meinen Vater nie mehr wieder zu sehen. Dieser Verlust ließ mich so wütend und traurig werden, dass ich alles vergaß, was die Missionare mir beigebracht hatten. In meiner Seelenqual packte ich eine Blumenvase und warf sie quer durch den Raum. Simouyé beobachtete mich mit ausdruckslosem Gesicht, wie es Geishas nun einmal tun. Keuchend, atemlos stand ich da und sah sie an wie sie mich ansah. Das war bis zu diesem Augenblick der spirituellste Moment meines Lebens. Es war seltsam, aber ihre Gefühllosigkeit besänftigte mich, ließ meine Tränen innerhalb kurzer Zeit trocknen.
Ich zitterte, als eine kühle Brise über meine nackten Brüste fuhr und meine Brustwarzen hart werden ließ wie die Knospen eines Kirschbaumes. Ein angenehmes Gefühl durchfuhr mich, als ich begann,
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