Die blonde Geisha
dieselbe Macht hätten wie ein Blick oder das Neigen des Kopfes.
“Eine Geisha muss lernen, wie man eine Tür auf korrekte Art und Weise öffnet”, fuhr Mariko fort. “Wie man sich verneigt, kniet, singt, tanzt, anmutig ist, aber das Wichtigste ist, sich mit Männern unterhalten zu können, ihnen Witze zu erzählen und klug genug sein, sie nie spüren zu lassen, wie klug eine Geisha ist.”
“Und wie macht sie das?”
Ohne jegliche Scheu entgegnete Mariko: “Eine Geisha erlernt viele Arten, einem Mann zu Gefallen zu sein, Kathlene-san. Sie drückt ihren Körper an seinen und sagt etwas Unerhörtes, dann erlaubt sie ihm, seine Hand unter ihren Kimono zu schieben und ihre nackten Brüste zu berühren, während sie ihm Saké einschenkt.”
Mit offenem Mund und aufgerissenen Augen saß ich da, niemals hätte ich erwartet, so etwas zu hören.
“Was tun Geishas noch?” fragte ich.
“Eine Geisha muss auch kunstfertig sein, sie muss Blumen arrangieren und die Teezeremonie richtig durchführen können. Okâsan sagt, diese Fähigkeiten sind der wichtigste Schatz im Leben einer Geisha.”
“Wichtiger, als zu lieben?” Ich hörte selbst, wie klagend meine Stimme klang, konnte aber nichts dagegen tun. Meine märchenhafte Vorstellung von einer Geisha verflüchtigte sich nach und nach wie ein brennendes Räucherstäbchen.
“Ja, Kathlene-san. Okâsan sagt, Geishas verlieben sich nicht in Männer. Sie verlieben sich in ihre Traditionen, ihre Kunst.”
“Meinst du, ich könnte eine Geisha werden?”
“Das wäre bestimmt schwierig, Kathlene-san. Okâsan ist sehr streng mit uns.”
“Sie kann nicht schlimmer sein als die Lehrer in der Missionsschule.”
“Je strenger die Lehrer sind, sagt Okâsan, desto mehr lernt man und eine umso bessere Geisha wird man und …” Mariko zögerte.
“Und was?” hakte ich nach.
“Du musst unseren Regeln folgen.”
“Den Regeln?” Ich verzog das Gesicht.
Sie dachte einen Moment nach, dann ratterte sie eine Liste herunter, die mich ganz schwindlig werden ließ. “Die Geisha darf morgens nie später als zehn Uhr aufstehen, dann richtet sie ihre Kleider, säubert das Zimmer, wäscht sich, wobei sie sich besonders um ihre Zähne und den teuren kleinen Spalt kümmert …”
“Ihren was?” Nie zuvor hatte ich diesen Ausdruck gehört, er entsetzte mich einerseits, weckte aber auch mein Interesse.
“Du weißt schon … da unten.” Sie deutete auf ihren Schoß. Als ich nickte, fuhr sie fort: “Sie muss sich darum kümmern, dass ihr Schamhaar ordentlich geschnitten ist.” Ich schnappte nach Luft, verblüfft über diese Regel, aber Mariko fuhr leise fort: “Eine Geisha muss jeden Morgen ihr Haar richten, zu den Göttern beten, Okâsan und ihre Geisha-Schwestern begrüßen, dann Frühstück aus Bambussprossen und –wurzeln …”
“Ist das
alles
, was ihr frühstückt?”
Mariko zögerte, dann schüttelte sie den Kopf. Ich lächelte. Sie machte sich über mich lustig. Mit ihr an meiner Seite würde ich meinen Spaß haben.
“Eine Geisha muss auch darauf achten, nie Gesichtsschminke unter den Fingernägeln zu haben oder auf ihren Ohrläppchen. Ihr Haar darf nicht riechen, das wäre eine Schande, und sie muss um drei Uhr nachmittags ein Bad im öffentlichen Badehaus nehmen. Sie darf keine Vertraulichkeiten mit den männlichen Bediensteten austauschen, die ihre Laute tragen, damit kein schlechter Eindruck entsteht.”
“Ich fürchte, ich habe bereits einen schlechten Eindruck auf Okâsan gemacht”, platzte ich heraus und stand auf, schnell und nicht sonderlich anmutig. Würde ich jemals lernen, mich wie eine Geisha zu bewegen? “Und dieses Mädchen, Youki-san, die mag mich auch nicht.” Ich rollte mein abgeschnittenes Haar zu einem Ball und schlang das Band meines Kimonos darum. Nun hielt nichts mehr meinen Kimono zusammen, doch ohne mein Haar fühlte ich mich noch viel nackter.
“Youki-san will dir nichts Böses”, behauptete Mariko.
“Wie kannst du das sagen? Sieh doch, was sie mit meinem Haar gemacht hat.” Warum verteidigte sie dieses Mädchen?
“Sie hat große Angst, Kathlene-san. Wenn sie keine Geisha wird, kann sie ihre Schulden nicht abarbeiten.”
“Ihre Schulden?”
“Youki-san wurde von ihren Eltern für viel Geld an einen Mann verkauft. Sie muss es ihm zurückzahlen.”
“Aber das entschuldigt nicht, was sie mir angetan hat, Mariko-san”, unterbrach ich sie.
Mariko beugte den Kopf. “Ja, Kathlene-san, aber wenn sie keine Geisha wird
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