Die blonde Geisha
sie mich davor warnen, zu sprechen, dann schlichen wir hinter einen Wandschirm.
Der Regen klopfte leise auf das Holzdach, wir hörten das klagende Seufzen einer Frau, das lauter und lauter wurde.
“Ich komme mir seltsam vor, Mariko-san, als ob ich mich für eine Reise bereit machte, die ich noch nie angetreten habe”, flüsterte ich. “Eine Reise, die einen tiefen Hunger in mir stillen wird.”
“Alle Frauen haben Hunger”, wisperte Mariko zurück. “Deswegen gibt es Engis.”
“Engis?”
“Ja, die Nachbildung eines aufgerichteten Jadestabes aus Papier oder Ton, gefüllt mit Süßigkeiten.” Sie leckte über ihre Lippen. “Schmeckt sehr gut.”
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und blickte über den Schirm. Simouyé saß auf ihren Fersen auf der Bodenmatte und schaukelte vor und zurück. Vor und zurück. Vor und zurück. Sie sah so wunderschön aus. Ihr Kimono war blau und schlicht. Genauso wie die Schärpe, die sie hinter dem Rücken kunstfertig zusammengebunden hatte.
Der sinnliche Ausdruck ihres Gesichtes aber war es, der meinen eigenen Körper auf eigentümlichste Weise reagieren ließ. Ich konnte es nicht verhindern, leise aufzustöhnen. Mariko verschloss mir den Mund mit einer Hand, ihre dunklen Augen warnten mich, still zu sein.
Ich nickte. Mariko ließ mich los und flüsterte: “Schau.”
Meine Augen weiteten sich. Okâsan änderte ihre Position und beugte ihren Körper nach vorne. Etwas schien mit einer Schleife an ihrer Ferse festgebunden zu sein. Etwas Langes und Schlankes, geformt wie ein …
“Pilz”, flüsterte ich. Dieser Pilz hatte, soweit ich erkennen konnte, nichts mit der Pflanze zu tun. Es handelte sich um ein braunes Lederobjekt, das geformt war wie ein Phallus. Groß und sehr realistisch mit hervortretenden Adern.
Ich zog mich wieder in den Schatten des Wandschirms zurück und dachte nach. Was ich gesehen hatte bestätigte nur noch einmal meinen Wunsch, Geisha zu werden.
Simouyé stand auf, zog ihren Seidenkimono an der Taille zusammen und befestigte dann ein rotes Band unter ihren Brüsten. Sie zog die Strümpfe aus und legte frische an.
“Warum wechselt sie die Strümpfe?” fragte ich.
“Geishas betrachten verknitterte oder leicht verschmutzte Strümpfe als den Gipfel der Ungehörigkeit. Saubere weiße Fersen und Zehen sind der Beweis der ehrenwertesten weiblichen Reinheit.”
Ich lächelte. Was für eine merkwürdige Vorstellung nach allem, was ich gesehen hatte. Dann blickte ich wieder zu Okâsan. Von dem Lederpilz war nichts mehr zu sehen. Simouyé musste ihn in einer der vielen Schubladen der Holztruhe verstaut haben.
Mir kam die Szene unwirklich vor, aber die Tränen, die über Okâsans Wangen liefen, waren echt und beunruhigten mich mehr, als ich verstehen konnte.
Ich verstand es überhaupt nicht.
Mein Hals wurde eng. Mariko schien mein Unbehagen zu spüren.
“Manche von uns schätzen die Vorstellungen der westlichen Welt”, sagte Mariko, “und geben die uralte Tradition auf, dass eine Frau immer hinter dem Mann zu gehen hat. Stattdessen laufen sie Hand in Hand mit ihm.”
“Willst du damit sagen, Okâsan ist so eine Frau?”
Sie nickte. “Die weibliche Seele hat viele Saiten, Kathlene-san, und eine Frau wie Okâsan ist eine Meisterin darin, jede einzelne anzuschlagen.” Bevor ich sie noch weiter ausquetschen konnte, sagte sie: “Wir müssen gehen.”
Heute Nacht blieb nichts mehr zu tun. Am nächsten Morgen wollte ich umgehend zu Okâsan gehen und ihr von Youkis Entschuldigung erzählen. Ich würde meinen Kopf neigen und die Worte sprechen, die Mariko mir gesagt hatte, denn nichts durfte mich daran hindern, die geheime Welt der Geishas zu betreten.
Gebeugt folgte ich Mariko durch die Schiebetür, den Flur entlang, über die winzige Brücke in einen Raum, wo für uns wie durch Zauberhand ein Futon aufgerollt worden war. Ein großes Moskitonetz hing an seidenen Fäden von der Decke herab. Seine durchscheinenden, meeresschaumfarbenen Wände versprachen einen friedlichen Schlaf. Wieder kam ich mir vor wie in einem Märchen, obwohl ich davon ausging, dass Ai den Futon hingelegt hatte. Ich fragte mich, wie viel die alte Frau wusste. Hatte sie uns gesehen, und falls ja, würde sie uns verraten?
Mariko schien meine Gedanken gelesen zu haben. “Wir müssen uns vor Ai-san in Acht nehmen.”
“Wieso?”
“Sie ist jedem zugetan, der sie bezahlt.”
Mariko bedeutete mir, mich neben sie auf den Futon zu legen. Wortlos folgte ich ihr, doch mein
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