Die blonde Geisha
hinaus verstand ich mich auf die Macht der Schönheit und Leidenschaft, wusste, wie man verheißungsvoll und zugleich gleichgültig war, und ich kannte das Göttliche wie auch das Teuflische in Männern.
Aber nie hatte ich vergessen, dass mein Vater versprochen hatte, zurückzukehren.
Was man nicht aussprach war machtvoller als alle Worte, hatte Mariko mir beigebracht. Obwohl ich es niemals laut sagte, befürchtete ich, dass mein Vater nicht in dieses Teehaus zurückkehren würde. Nicht einen einzigen Brief hatte ich von ihm bekommen. Falls die Erde flach war, wie viele glaubten, dann musste er über den Rand gefallen sein.
Warum war er nicht zurückgekommen?
Ich saß auf einem blauen Seidenkissen und trommelte mit den Fingern auf meinen zusammengefalteten Fächer. Doch ich durfte die Hoffnung nicht aufgeben, dass mein Vater mich eines Tages als Geisha sehen und stolz auf mich sein würde. Aus diesem Grund musste ich offiziell in die Schwesternschaft der Geishas aufgenommen werden. Geishas waren aufeinander angewiesen, auf ihr Mitgefühl und ihre Treue und vor allem auf ihre Freundschaft. Deswegen wollte ich die Zeremonie der Schwesternschaft mit Mariko und niemandem sonst feiern. Mariko war die ältere Schwester, weil sie schon länger als ich im Teehaus lebte, wir aßen zusammen, teilten unsere Geheimnisse und halfen uns beim Anlegen der Kimonos. Einen Kimono richtig zu tragen, war nicht leicht.
“Ein rotes Seidenhöschen?” fragte ich Mariko damals, als sie mir zeigte, was ich unter dem Kimono tragen sollte.
“Ja, Kathlene-san, alle Geishas lassen ein wenig rot hervorblitzen. Rot ist die Farbe der Leidenschaft. Und Geisha zu sein bedeutet Leidenschaft.”
Anfangs hatte ich meine Schärpe zu fest gebunden, und trotzdem löste sie sich kurz darauf wieder, worauf wir beide in Gelächter ausbrachen. Nun wusste ich, wie man den Kimono mit seinen vielen Bändern richtig anlegte, damit er anmutig bis zum Boden fiel und die Füße umspielte wie fließendes Wasser.
“Wenn eine Geisha einen Kimono trägt, darf sie nicht auffallen, sie muss mit ihrer Umgebung harmonisieren”, rief mich Mariko oft zur Ordnung.
Damit meinte sie Wa, Harmonie, das Wesen der japanischen Seele.
Warum sollten Mariko und ich nicht Schwestern werden? Was sprach dagegen?
Das war der Grund, warum ich mich ganz früh am Morgen, noch bevor der Hahn krähte, aus dem Teehaus geschlichen hatte, durch die engen Straßen am Kanal entlang in den Laden eilte, wo ich die Kokeshi-Puppen gekauft hatte: Grobe, kastenförmige geschnitzte Puppen mit aufgemalten Augen, Nasen und Mündern und bunten Kimonos. Diese Puppen sollten ungebundene Frauen beschützen.
Mein Gesicht verhärtete sich bei dem Gedanken, dass Mariko ohne einen Mann, der sie liebte, leben sollte. Heirat bedeutete Sicherheit, eine angesehen Stellung, ein Heim und Kinder. Wenn eine Geisha heiratete, durfte sie nicht länger Geisha sein. Aber ich hatte das Gefühl, dass Mariko, so sehr sie sich nach einer Familie sehnte, niemals aufhören wollte, Geisha zu sein. Sie war gefangen in ihrem Geist und Körper mit dem Wunsch, nur einem Meister zu dienen: der Pflicht.
Während ich über sie nach dachte, rannte ich wieder die schmale Treppe hinunter, über den gewundenen Steinweg in den Garten. Aber auch hier war niemand. Wo war sie? Wo waren die anderen?
Ich lief durch das offene Tor auf die Straße. Es war später Nachmittag und ich sah Pilger auf ihrem Weg zum Kiomidzu-Tempel, Priester, die um Almosen bettelten, und Kinder, die in den Straßen spielten. Und sogar ein Huhn, das von einem kleinen schwarz-weißen Hund mit feuchten Augen gejagt wurde.
Dann entdeckte ich etwas, das ein Lächeln auf mein Gesicht zauberte. Ein breites Lächeln. Hisa war vom Markt zurückgekehrt. Er hatte Besorgungen für Okâsan gemacht wie ich bemerkte, als ich den Shiba-Fisch in seinem Korb und eine Essigflasche in seiner Hand sah. Ich durfte es zwar nicht, aber ich starrte ihn trotzdem an, allerdings verbarg ich mich im Schatten, damit er mich nicht entdecken konnte. Oh, er sah so außergewöhnlich gut aus. Groß, männlich und mit einer Haltung, die eher zu einem Krieger passte als zu einem Lakai.
Ich sah, wie er seinen kurzen dunkelgrauen Umhang hochschob und zu meinem Erstaunen seinen Speer hervorholte, um einem natürlichen Bedürfnis nachzugehen. Der Strahl traf die Straße mit solcher Wucht, dass kleine Kieselsteine durch die Luft flogen.
Als ich in lautes Kichern ausbrach, hielt ich mir erschrocken
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