Die blonde Geisha
dehnte sich aus in einem strahlenden Silbernebel. Die heiligen Pforten von Hôrai waren ebenfalls zu sehen: ein mystischer Ort, an dem weder Tod noch Schmerz existierte, kein Winter, keine Kälte, wo Blumen ohne Scham erblühten und die Früchte immer süß schmeckten. Die Sonne strahlte in einem milchig goldenen Licht, das die Leidenschaft der Männer erhitzte.
Und
der Frauen.
Mit zitternden Händen berührte ich meine Brüste. In diesem Teehaus würde ich die Antwort nie finden. Um meinen Geist zu erfrischen und meine rastlose Seele zu besänftigen, musste ich meinen Lieblingsort in Kioto besuchen.
Ich musste nach Kiomizuzaka. Auf den Berg hinauf zum Kiomidzu-Tempel, um den Göttern mein Opfer darzubieten. Und um zu beten. Denn wurden die Geishas nicht von den Göttern beschützt? Und konnte ich dann nicht darum bitten, dass mir Sorge und Kummer genommen wurden?
Am Gion-Tor lief ich durch die Menschenmenge bis zu der schmalen Straße am Flussbett, überquerte die vielen Bretter und winzigen Brücken, die von einer kleinen Kiesinsel zur nächsten führten. Der sanfte Nachmittagswind vom Fluss besänftigte mein schmerzendes Herz. Ich war froh, dass ich mir einen Umhang aus schwarzer Seide übergeworfen hatte. Die Kapuze reichte mir bis an die Augen. Nur die Götter würden wissen, wer ich war.
Ich passierte die Hauptstraße, wich den Pfützen aus, es war schon ein wenig dämmrig, Musik und Stimmen drangen in meine Gedanken, als ich mitten in das Einkaufszentrum von Gion lief.
Starr blickte ich vor mich hin. Reihen weißer Papierlaternen hingen über den Haustüren und verkündeten den Vorbeikommenden, dass bei Sonnenuntergang eine Shinto-Hochzeit stattfinden würde. Jungen bahnten sich rhythmisch singend den Weg durch die Menschen und wirbelten lange Stäbe mit riesigen Laternen und lodernde Fackeln herum.
Ein Junge kam mir zu nahe, die Flamme der Fackel streifte mich fast und blies mir ihren heißen Atem ins Gesicht. Schweiß perlte über meine Wangen, hinterließ gewundene Spuren in meinem weißen Make-up. Ich sprang zurück, stolperte, die Kapuze rutschte hinunter und zeigte mein Gesicht. Schnell warf ich einen Blick von links nach rechts, aus Angst, dass mich jemand bemerkt hatte. Inzwischen hatte sich eine große Menschenmenge angesammelt, um die Fackelträger zu beobachten, unter ihnen auch einige Gaijins.
Schnell zog ich die Kapuze wieder über den Kopf, blickte nach unten, und wenn amerikanische Missionare mich nach dem Weg zum Kiotohotel oder einem bestimmten Laden fragten, tat ich so, als würde ich ihre Sprache nicht verstehen. Nie vergaß ich, was mein Vater mir damals sagte: Dass ich mit niemandem außerhalb des Teehauses sprechen dürfe. Doch ich sehnte mich danach, mal wieder meine Muttersprache zu benutzen. Manchmal, wenn niemand in der Nähe war, brachte ich Mariko Englisch bei. Sie war eine gute Schülerin, hin und wieder sangen wir Kinderlieder. Doch jetzt hatte ich keine Zeit für solche Spielchen. Ich bemerkte zwei mich anstarrende Männer in dunkelbraunen Kimonos und mit schweren Goldketten an ihren Gürteln. Ihre sonderbaren Blicke faszinierten mich genauso wie ihre seltsamen Kleider. Als ich das Teehaus verlassen hatte, waren sie mir schon aufgefallen.
Ich erschauerte. Folgten mir diese Männer etwa? Ich wagte einen verstohlenen Blick unter der Kapuze hervor. War das nur ein Zufall? Unauffällig ging ich an einen Stand und tat so, als betrachtete ich die orangegoldenen Pfirsiche. Die Männer drehten die Köpfe zur Seite. Also hatten sie mich wirklich verfolgt. Aber warum? Da ich keine Antwort fand, schüttelte ich das merkwürdige Gefühl ab und ging weiter. Womöglich hatte Okâsan sie geschickt, um mir hinterher zu spionieren? Aber das würde mich nicht aufhalten.
Ich dachte an die Bunraku, die traditionellen Marionetten, die ich einmal im Theater gesehen hatte. Der Meister-Puppenspieler zeigte sein Gesicht und bewegte die Gesichter und Hände der Marionetten, während sich zwei andere Puppenspieler mit schwarzen Masken um die Beine kümmerten. Die Marionetten wirkten derart lebendig, dass die Anwesenheit der Männer irgendwann nicht mehr auffiel. Nur das Märchen, das sie erzählten, blieb zurück.
Genau darum ging es, wenn man Geisha werden wollte. Man kreierte eine Welt voller wunderschöner Illusionen. Und weil ich mit Hisa die Regeln gebrochen hatte, weil ich der kleinen Maiko, die meine Schwester werden sollte, so tief verletzt hatte, hatte ich den Teil meiner Seele
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