Die blonde Geisha
ist ein mächtiger und einflussreicher Mann. Er wird nicht gehen, bevor er eine Antwort von dir hat.”
Das Mädchen hob eine Augenbraue. “Eine Antwort auf was, Okâsan?”
Simouyé senkte den Blick und zupfte an ihrem Kimonoärmel. Wollte Kathlene ihre Geduld testen, oder begriff sie wirklich nicht? Keine andere Maiko in ihrem altehrwürdigen Teehaus würde es wagen, solche direkten Fragen zu stellen.
Seit Jahrhunderten wurde japanischen Mädchen von Kindesbeinen an beigebracht, dass sie die Umstände ihres Lebens hinnehmen mussten. Geishas waren da keine Ausnahme. Es entsprach so gar nicht Simouyés Art, irgendetwas zu erklären und sie überlegte, was sie entgegnen sollte. Warum machte das Mädchen es ihr so schwer? Sie war eine Gaijin, demnach musste man ihr diesen Verstoß wohl verzeihen.
“Du bist achtzehn, Kathlene-san”, sagte Simouyé. Sie betonte jedes einzelne Wort. “All die anderen Mädchen haben dieses Ritual bereits mit sechzehn Jahren durchlaufen.”
“Von Mariko-san abgesehen”, unterbrach Kathlene sie mit einem halben Lächeln.
Simouyé seufzte. Wieder spürte sie Ärger in sich aufsteigen. “Mariko-san muss ihre Ausbildung erst noch beenden”, log sie. Die Wahrheit war, dass es bisher keine Angebote für das Mädchen gegeben hatte. Doch Simouyé wusste, dass Mariko die Fähigkeiten einer guten Geisha besaß. Eines Tages würde sie erblühen, denn wenn ihr Gesicht auch nicht besonders hübsch war, so zeugte ihr Benehmen doch von tiefer Schönheit.
Die Schwierigkeit war, dass Männer zuerst auf das Gesicht achteten. Das von Mariko war rund, die Züge nicht besonders fein, zugleich war sie so empfindsam, dass sie womöglich ohnmächtig werden würde, sobald ein Mann in sie eindrang.
“Ich weiß nicht, was Sie diesem Mann gesagt haben, Okâsan”, entgegnete Kathlene mit fester Stimme. “Aber ich stehe nicht zum Verkauf.”
Simouyé schüttelte den Kopf, wütend über das Benehmen des Mädchens. Dieses unstillbare Verlangen nach Individualität war so unjapanisch. Aber was sollte sie schon anderes von Mallory-sans Tochter erwarten? Die Erinnerungen daran, wie die Leidenschaft bei seiner Berührung ihre Hitze entfacht hatte, ließen sie erröten. Oft war er wild und ungezügelt gewesen, hatte seinen hochgeschätzten Jadestab so tief in ihr Blumenherz gestoßen, dass es sie zugleich ängstigte und erregte.
Sein Kind war ebenfalls ungezügelt. Mal benahm Kathlene sich pflichtbewusst und gehorsam wie eine Blume, die stark und groß wird. Dann wieder war sie launenhaft und unfügsam. Simouyé war besorgt.
“Du wirst tun, was ich sage, Kathlene-san. Ich
befehle
es.”
“Nein, Okâsan. Ich kann das nicht tun. Ich werde nicht das Einzige, was eine Frau besitzt, einfach so weggeben. Ich will mich verlieben, bevor ich mich einem Mann hingebe.” Sie richtete sich auf, und Simouyé konnte sehen, wie groß sie in den drei Jahren geworden war. Ihre grünen Augen glühten.
“Ich werde dich auf der Stelle fortschicken, Kathlene-san, wenn du nicht gehorchst.”
Das Mädchen überlegte kurz. “Sie können mich nicht einfach fortschicken, so, wie Sie es damals mit Mariko-san versucht haben, weil sie so still war.”
“Ich hatte geglaubt, dass sie dort glücklicher wäre, und ich frage mich noch immer, ob es nicht ein Fehler war, sie hier zu behalten.”
Erschrocken sah Kathlene sie an. “Was wollen Sie damit sagen, Okâsan?”
“Muss ich Mariko-san erst wegschicken, damit du begreifst, dass ich Ungehorsam nicht dulden kann?”
“Ich bin nicht ungehorsam, Okâsan. Sie sind diejenige, die die Wünsche meines Vaters nicht beachtet, indem Sie mich diesem Mann verkaufen wollen.”
Die Teehausbesitzerin blinzelte, ihr Gesicht aber blieb ausdruckslos. Wenn es um Schlagfertigkeit ging, machte dieser jungen Maiko mit dem blonden Haar niemand etwas vor. Auf alles wusste sie eine Antwort.
Simouyé seufzte schwer. Aber auf das, was sie dem Mädchen jetzt sagen musste, würde es keine Antwort wissen. Sie hatte ihre Beziehungen spielen lassen und die Namenslisten der Dampfschiffgesellschaften regelmäßig überprüft: Die Nippon Yusen Kaisha Line von San Francisco, die Osaka Shosen Kaisha von Los Angeles. Außerdem die Listen der Bahnlinien, einschließlich der Transsibirischen und der Südmanschurai Eisenbahn. Nie war ein Edward Mallory als Passagier verzeichnet gewesen.
Selbst wenn er inkognito gereist wäre – niemand hatte Kontakt zu ihr aufgenommen und nach dem Kind gefragt. Es fiel ihr
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