Die blonde Geisha
weich bei der Erinnerung. “Okâsan hat ihre Aufgabe erfüllt. Ich kann es ihr nicht danken, indem ich zulasse, dass Baron Tonda-sama ihr Leben zerstört. Das kann ich nicht, und das werde ich nicht. Mein Vater würde wollen, dass ich meine Pflicht erfülle, wenn er noch am Leben wäre.” Sie sah ihm unverwandt in die Augen, und da begriff er, dass sie schon längst wusste, was er nicht auszusprechen wagte. “Er ist tot, Reed-san. Nicht wahr?”
Er hätte sie so gerne festgehalten. “Ja, Kathlene, ich glaube, Mallory ist tot.”
Lautlos begann sie zu weinen. “Erzähl mir, was geschehen ist. Bitte.”
“Dein Vater war sehr krank, als wir schließlich von einem Schiff aufgelesen und zurück nach San Francisco gebracht wurden. Er hatte die Ruhr, doch sein einziges Ziel war, dich zurückzuholen.” Er beugte sich ein wenig vor. “Als Mallory all diese Monate auf der Insel von dir sprach, entstand in meinem Kopf ein Bild von dir, in das ich mich verliebt habe. In deinen freien Geist, deinen Humor, dein liebendes Herz, selbst in deine aufsässige Art. Ich wusste nicht, wie du aussiehst, nur, dass du langes blondes Haar hast und grüne Augen. Ich konnte mir eine blonde Geisha nicht vorstellen. Als die Ärzte deinem Vater sagten, er würde eine weitere Seereise nicht überstehen, versprach ich, dich zurück nach Amerika zu bringen, damit er in Frieden sterben konnte.”
“Hast du ihn sterben sehen?”
“Nein.”
Hoffnung lag in ihrer Stimme als sie sagte: “Dann
könnte
er noch leben?”
“Ja, das ist möglich.” Er nahm ihren Arm und zog sie auf eine Bank. “Begreifst du jetzt, warum ich nicht zulassen kann, dass du mit dem Baron schläfst? Ich habe deinem Vater versprochen, dass dir nichts geschieht.”
“Du verstehst nichts von Verpflichtungen, Reed-san, und von dem starken Band, das dadurch zwischen Menschen entsteht. Mein Vater hat Simouyé geliebt, und in Japan kann man ohne Verpflichtung nicht lieben. Und diese Verpflichtung ist nun auf mich als seine Tochter übergegangen. Es ist eine Schuld, die beglichen werden muss. Simouyé gegenüber.”
Er lächelte nicht. Genauso wenig wie Kathlene. “Und was ist mit der Verpflichtung deinem Vater gegenüber?”
Was ist mit deiner Verpflichtung mir gegenüber, wollte er eigentlich fragen. Verdammt, ich habe mein Leben aufs Spiel gesetzt, um dich zu finden.
Ihre Blicke trafen sich, und in ihren Augen sah er, dass sie nicht mit dem Baron schlafen wollte, sie war zu Tode verängstigt.
“Komm mit mir, Kathlene. Wir können den Zug nach Yokohama nehmen und von dort mit dem Schiff in die Staaten fahren.”
Sie blinzelte, ihre Lippen bebten, doch sie sagte nichts. Er konnte nur erahnen, welcher Schmerz in ihr wütete.
Er hörte eine leise Frauenstimme hinter sich: “Wer ist dieser Mann, Kathlene-san?”
Reed drehte sich um, nicht wirklich überrascht, die imposante Gestalt der Mama-san zu sehen. Diese wunderschöne, anmutige Geisha musste die Frau sein, die Simouyé hieß.
“Bitte verzeihen Sie, Okâsan”, entgegnete Kathlene mit höchst formeller Stimme und verbeugte sich.
Der Amerikaner lauschte ihrem Wortwechsel auf Japanisch, verstand vereinzelte Brocken. Kathlene nannte seinen Namen und sagte, dass er Nachricht von ihrem Vater hätte, woraufhin die ältere Frau aussah, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen. Dann, mit allergrößter Ruhe, sagte sie auf Englisch zu ihm: “Lebt Mallory-san noch?”
“Er war sehr krank, als ich San Francisco verließ”, antwortete Reed.
Sie hob eine Hand und nickte. “Ich verstehe.”
Doch Reed wollte die Gelegenheit nutzen. “Wenn Sie Mallory lieben, dann müssen Sie Kathlene davon überzeugen, mit mir zu fliehen.”
Simouyé senkte den Blick, sprach dann in schnellem Japanisch mit Kathlene, woraufhin diese sich tief verneigte und ging. Nun war er mit der Teehausbesitzerin allein im Garten.
“Bitte, ich muss Sie fragen, ob Sie wissen, weshalb Mallory-san seine Tochter hiergelassen hat”, sagte sie in präzisem Englisch.
“Mallory sagte mir nur, dass seine Tochter in einem Teehaus versteckt gehalten würde und er auf dem Weg war, um sie nach Hause zu holen.”
“Ich verstehe.” Sie zögerte kurz. “Cantrell-san, bevor Sie gehen muss ich Sie darüber informieren, dass Kathlene-san die letzten drei Jahre in diesem Teehaus verbracht hat, weil ein wichtiger und machtvoller Mensch, der Prinz Kira-sama, sich an Mallory-san wegen einer großen Familientragödie rächen will. Obwohl Mallory-san
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