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Die blonde Witwe

Die blonde Witwe

Titel: Die blonde Witwe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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kein Telefon besaß.
    Inzwischen war es dreiviertel zehn geworden. Ich setzte mich an einen Tisch, zu einem Mädchen, das vermutlich selbst für die Heilsarmee zu einfältig aussah, und beobachtete die beiden Eingänge zum Imbißraum. Außerdem beobachtete ich, wie der große, goldene Zeiger der Wanduhr langsam über den Busen der allegorischen Frauenfigur ruckte.
    Das Mädchen an meinem Tisch fragte mich, ob man hier wohl etwas zu essen bekommen könne. An allen Tischen ringsum wurde gegessen und getrunken, was ihr offenbar entgangen war.
    Nachdem sie versucht hatte, bei dem robusten Ordnungsmann, der um diese Zeit noch nicht so häufig Nackenschläge an Schläfer auszuteilen hatte, zwei Würstchen zu bestellen, half ich ihr und besorgte ihr die beiden Würstchen.
    Andrea war noch nicht da; der Zeiger zuckte gerade über die Zwölf und die Nase der halbnackten Frau. Das Mädchen aß die Würstchen, wobei sie mich bei jedem Bissen mit einem frommen Augenaufschlag bedachte.
    Schließlich, um zehn Uhr fünfzehn, als der Zeiger schon wieder den linken Busen freigab, gestand mir das Mädchen, daß ihm ein paar Mark zum Fahrgeld fehlten. Ob ich nicht Lust hätte — und ein Auto hätte ich doch sicher auch.
    In keinem der vielen Fremdenführer für München findet man Hinweise auf Freudenhäuser oder Bordelle. Dafür gibt es diese Mädchen überall, und meine hatte sich offensichtlich eine ganz besondere Masche ausgedacht. Vor Kontrollen war sie jedenfalls sicher.
    Um halb elf wurde ich unruhig, das heißt, noch unruhiger. Warum kam Andrea nicht?
    Das Mädchen an meinem Tisch stand auf, nickte mir freundlich zu — »ein andermal vielleicht« — und setzte sich zu einem älteren Knaben, der vielleicht bereit war, ihr das Fahrgeld auszulegen.
    Wo blieb Andrea?
    Ich zahlte die drei Tassen Kaffee, die ich gedankenlos in mich hineingetrunken hatte, und um zehn Uhr fünfunddreißig, als der große Zeiger gerade den Oberschenkel der Dame im Goldenen Schnitt teilte, ging ich zur Bahnpost und rief das Hotel »Seeadler« in Pöcking an.
    »Hällouh?« fragte eine verschlafene Männerstimme.
    »Ich muß Fräulein Duklas sprechen, es ist sehr dringend.«
    »In wölcher Ongelegenhoit, bittä?« fragte die Stimme, vermutlich die Stimme des Nachtportiers, der seiner Aussprache nach unter Ludwig II. geboren war, dann aber in einer amerikanischen Bar gearbeitet hatte.
    »Privat«, sagte ich. »Sehr privat und sehr dringend.«
    »Und wen därf ich moilden?«
    Ich überlegte eine Sekunde, dann sagte ich:
    »Müller, Paul Müller vom Tennisklub«. Tennisklub konnte etwa stimmen und unverdächtig sein.
    »Bittä warten Sü oinen Ougenblück.«
    Ich wartete mindestens zehn Augenblicke, zwanzig, dann war der Bayernamerikaner wieder da.
    »Hällouh? Sünd Sü noch dorten?«
    »Jäwui«, sagte ich.
    »Oiso«, sagte er, »das Freiloin ist hoite abgeroist.«
    »Abgereist? Das kann doch nicht...« Ich brach ab. Weiß der Teufel, was da gespielt wurde, aber ich wollte Andrea auf keinen Fall bloßstellen und sagen, daß ich heute abend mit ihr telefoniert hatte. Also sagte ich: »So, so, sie ist abgereist. Wann denn?«
    »Hoite«, sagte er. »Ich höbe düse Ouskunft von Frau Duklas persönlich bekommen.«
    »Dänke«, sagte ich, »vülmal danke.« Ich hängte ein.
    Immerhin wußte ich etwas: Andrea gab es wirklich, und sie hieß vielleicht auch wirklich Andrea, und sie mußte wirklich Paul Duklas’ Tochter sein.
    Ich lief ins Lokal zurück, in der Hoffnung, sie wäre inzwischen gekommen.
    Aber sie war nicht da. Es war mir nur ein kleiner Trost, meine Tischgenossin, wie eine Schlingpflanze an dem alten Knaben hängend, den Imbißraum verlassen zu sehen.
    Abgereist? Verreist eine Tochter gerade dann, wenn ihr Vater ermordet worden ist? War ihr etwas zugestoßen, hatten meine Sorgen ihre Berechtigung, war ich schon zu spät dran?
    Ich brauchte dringend einen Schnaps, auch wenn es nur ein Bahnhofsschnaps war. Also wühlte ich mich durch die Vorstrafen und gerade, als ich an die Theke kam, fing einer neben mir Krach an.
    »Verdammt noch mal!« rief er. »Ich habe mein Bier noch nie bezahlen müssen. Der Holzinger hat mir’s immer spendiert, und woher soll ich wissen, daß er...«
    Der massige Ordnungsmann war schon da und hatte ihn am Kragen.
    »Zahlen«, sagte er nur.
    Ich machte ihm ein Zeichen und sagte: »Lassen Sie nur, das erledige ich.«
    Ohne Rücksicht auf Nachschub bezahlte ich etwas über vier Mark. Der Mann, der die Zeche gemacht hatte,

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