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Die blonde Witwe

Die blonde Witwe

Titel: Die blonde Witwe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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fuhr hoch. Ich hatte Hesekiel auf meinem Bauch vergessen. Er flog in hohem Bogen quer durchs Zimmer, schrie erbärmlich und anhaltend, flüchtete hinter den Papierkorb, der umfiel und dem Hund neue Schreckenslaute entlockte.
    Endlich hatte ich den Hörer abgehoben.
    Als ich die Stimme hörte, fing mein Herz an, schneller zu schlagen. Es war eine weiche, angenehme Mädchenstimme.
    »Hallo«, sagte sie. »Ist dort Herr Petersdorff?«
    »Am Apparat.«
    »Hier spricht Andrea Duklas. Ich bin... Wir kennen uns vom Bahnhof.«
    Jetzt sprach sie hastig, als sei sie in großer Eile.
    »Ich weiß«, sagte ich. »Was ist los? Kann ich etwas für Sie tun?«
    »Haben Sie gehört...« Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern. »Haben Sie von meinem Vater gehört?«
    »Ja, ich habe es eben in der Zeitung... Es tut mir sehr leid, Fräulein Duklas. Was darf ich...«
    »Ich muß Sie unbedingt sprechen. Ich weiß, wer ihn ermordet hat.«
    Einen Augenblick blieb mir das Herz stehen. Endlich bekam ich wieder Luft.
    »Sie wissen es? Um Himmels willen, Andrea — Fräulein Duklas, haben Sie das schon der Polizei...«
    »Rasch«, flüsterte sie. »Es kommt jemand. Wann und wo kann ich Sie treffen?«
    »Jederzeit«, sagte ich, jetzt unwillkürlich ebenfalls hastig und leise, als würde ich belauscht. »Bestimmen Sie Zeit und Ort, ich werde da sein.«
    Kaum noch verständlich hörte ich sie flüstern: »Gleicher Ort, heute abend zehn Uhr.«
    »Einverstanden«, sagte ich.
    Sie hatte eingehängt.
    Also gab es eine Andrea. Und sie war die Tochter des Toten im Zuge.
    Es war kurz vor achtzehn Uhr. Ich hatte noch Zeit, eine Hundeleine, ein Halsband und zwei Schüsseln zu kaufen.
    Hesekiel hatte sich im Papierkorb verschanzt und zeigte mir gesunde, erstaunlich kräftige Zähne, als ich ihn herausholen wollte. Erst mit Hilfe meiner Schuhe brachte ich ihn dazu, seinen Bunker zu verlassen.
    Andrea...
    Der Name zerschmolz mir wie Eis auf der Zunge. Aber es war ein bitteres Eis. Sie hatte ihren Vater verloren. Und sie wußte, wer der Mörder war.
    Ich wußte es auch.
    Und wenn der Mörder von diesem Anruf wußte, dann schwebte Andrea in höchster Lebensgefahr.

4

    Je vornehmer die Menschen werden, desto mehr schrumpft ihr Herz zusammen und desto merkwürdiger werden ihre Begriffe von Hygiene. Sie essen in vornehmen Restaurants unbekümmert alles, gleichgültig ob der Koch Schnupfen oder der Geschirrspüler ungewaschene Hände hat. Aber Hunde im Restaurant finden sie unhygienisch. Zum Glück für München gibt es in dieser Stadt nur wenige Lokale solch steriler Vornehmheit.
    Dort, wo ich aß, bekam Hesekiel eine ganze Schüssel voll Reis, mit etwas Tunke angefeuchtet, »keine scharfe«, wie mir der Kellner besorgt versicherte, und dazu einen solchen Berg fleischiger Knochen, daß es mir unmöglich schien, er könne damit fertig werden.
    Er wurde es, und mir wurde dabei Angst. Wie sollte ich ein solches Freßtier ernähren?
    Meine Betrachtungen über die Ernährung von Hunden in einer Großstadt sollten mich von meiner Uhr ablenken, deren Zeiger heute abend besonders langsam um das Zifferblatt krochen.
    Endlich, um einundzwanzig Uhr, betrat ich den Imbißraum im Hauptbahnhof, nachdem ich meinen Wagen samt Hesekiel wieder in der Hochgarage geparkt hatte.
    Es war alles genauso wie am Montag abend. Oder doch nicht ganz.
    Ich trat zur Mitteltheke, bestellte bei einer Kellnerin ein Helles und fragte sie: »Wo ist denn heute euer Schenkkellner? Der tätowierte Bär.«
    »Fort«, sagte sie und stellte das überschäumende Bier vor mich auf die Theke.
    Ihr verbiestertes Gesicht verriet, daß ihr Arbeit grundsätzlich keine Freude machte, diese hier schon gar nicht, und jeder Gast sie störte. Fragende Gäste störten doppelt.
    »Wieso fort?« fragte ich trotzdem. »Hat er heute seinen freien Tag?«
    »Fort. Ganz fort. Er hatte zum Dreißigsten gekündigt.«
    Ich trank erst ein paar Schlucke, wartete bis sie wieder in meine Nähe kam, und bohrte dann weiter: »Ich müßte ihn sprechen. Wissen Sie, wohin er gegangen ist, wo er jetzt arbeitet?«
    »Nein.«
    »Aber seinen Namen wissen Sie doch bestimmt. Vielleicht kann ich ihn dann finden.«
    »Holzinger«, sagte sie und lief davon.
    Später fragte ich noch nach seinem Vornamen, aber den wußte anscheinend niemand.
    Da ich noch Zeit hatte, ging ich hinaus zu den Telefonzellen und suchte. Es gibt in München dreißig telefonisch erreichbare Holzingers, aber es war anzunehmen, daß der Mann mit der Erna auf dem Unterarm

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