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Die blonde Witwe

Die blonde Witwe

Titel: Die blonde Witwe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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dem Stück Wurst und überließ mir das Brot.
    »Siehst du, mein Freund, genau das wird er auch tun«, beendete ich meinen Vortrag.
    Nicht zu langsam und nicht zu schnell ging ich in die Ludwigstraße, wobei ich sogar Verkehrsschutzleute peinlich mied. Trotzdem fühlte ich mich relativ sicher. Mörder gehen nicht mit einem Hund spazieren.
    Der kleine, bescheidene Bau der AVAG hatte nur sechs Stockwerke, viele Fenster in echtes Messing gefaßt, und ein wenig Marmor am Eingang. Die Tür war ein Portal. Darüber stand in Gold, wahrscheinlich 18karätig, das Wort

    A V A G
    und darunter

    ALLGEMEINE VERSICHERUNGS-AG

    Das goldene G war vielleicht von meinen Beiträgen bezahlt worden, und wenn sie mir meinen Kotflügel ersetzt hätten, würden sie dafür nur 14karätiges Gold verwendet haben können.
    Der Portier verneigte sich tief vor Hesekiel und mir. Leute, die mit Hunden kommen, könnten Geld haben.
    Als ich den Vordruck beim Portier ausgefüllt hatte, zog sich dessen Gesicht in die Länge, als hätte ich ihm einen unsittlichen Antrag gemacht.
    »Den Herrn Direktor persönlich wollen Sie sprechen? Sind Sie denn angemeldet?«
    Ich deutete auf die Illustrierte, die ich mir zum Zweck eines neuerlichen Betrugs unterwegs gekauft hatte.
    »Ich bin der Wirtschaftsexperte dieser Zeitschrift und möchte ein Interview mit dem Herrn Direktor. Es handelt sich dabei um die überhöhten Prämien der Auto-Haftpflichtversicherung. Wir sind nämlich der Ansicht... Aber das sage ich ihm wohl lieber selber, nicht wahr?«
    Sprengladungen haben absolut keine Wirkung, wenn sie falsch angebracht werden. Meine war offenbar richtig angebracht, denn der Portier verschwand blitzschnell in seinem Glaskasten, und ich sah ihn eifrig telefonieren, wobei sein Blick immer wieder meine Zeitschrift streifte. Schließlich bat er mich liebenswürdig, einen Augenblick zu warten.
    Ich pflanzte mich in einen ledernen Klubsessel, für den man einem armen Teufel gut und gern einen Austauschmotor hätte bewilligen können.
    Nach einer knappen Viertelstunde — Direktoren lassen immer eine knappe Viertelstunde vergehen, damit jeder sieht, wie beschäftigt sie sind — wurde ich im zweiten Stock von Herrn Direktor Grasmeyer empfangen.
    Er war ein älterer, überaus jovial und irgendwie recht glücklich aussehender Herr, der den Eindruck erweckte, als mache ihm das Addieren von sieben plus neun bereits einige Schwierigkeiten. Sollte ich mich in meiner Beurteilung von Versicherungsdirektoren doch einer zu laienhaften Vorstellung hingegeben haben?
    »Bitte«, sagte er, »nehmen Sie doch Platz.«
    Für den Sessel, auf den er deutete, hätte man drei Austauschmotore bekommen; für den dicken, sattfarbenen Perserteppich mindestens einen Mercedes; für den Schreibtisch zwei Volkswagen; für die Schrankwand hinter dem Schreibtisch aus edlem Schiffsmahagoni etwa zwei mittlere Lieferwagen. Selbst die Schreibgarnitur war gut und gern ein halbes Dutzend Stoßstangen wert.
    Ich nahm also Platz; bereits das ist schon ein feiner Unterschied zu einem gewöhnlichen Hinsetzen.
    Er deutete auf Hesekiel.
    »Wie reizend! Ein Chihuahua?«
    »Nein, ein westafrikanischer Papua-Dobermann.«
    Seine hellblauen Augen konnten sich von Hesekiel kaum losreißen. Endlich brachte er es doch fertig, schaute mich an und sagte: »Sie wollen also ein Interview für Ihre Zeitschrift?«
    Ich fühlte mich in diesem Sessel wie in einem wohltemperierten Moorbad.
    »Jawohl«, sagte ich. »Mein Name ist« — mein Blick fiel gerade noch rechtzeitig auf den echten Renoir an der Wand — »Renner, Wirtschaftsredakteur.«
    Er deutete auf meine Illustrierte.
    »Für dieses Blatt?«
    »Hm.«
    Er hatte rundliche, vergnügte Bäckchen und einen kleinen, etwas genüßlichen Mund. Sicherlich war es ihm nicht gleichgültig, woher die Austern kamen, die er frühstückte. Er schob mir mit seiner kleinen Patschhand Zigaretten in der Packung über die Schreibtischplatte, auf der man hätte Minigolf spielen können, wenn sie nicht so leer gewesen wäre.
    »Fragen Sie, Herr Renner, ich werde Ihnen gern antworten.«
    So leicht also kann man einen Versicherungsdirektor hinters Licht führen, besonders seit einige Zeitschriften darauf gekommen sind, von ihren Rechten tatsächlich Gebrauch zu machen.
    Ich fragte also: »Eine Versicherung ist doch ein Geschäfts-Unternehmen und keine Wohlfahrtseinrichtung. Folglich ist sie auch daran interessiert, Gewinne zu erzielen?«
    »Gewiß«, sagte er. »Allerdings in mäßigen

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