Die Blüte des Eukalyptus
der kleinen Farmen drang ein Lebenszeichen. Die Bewohner schienen wie vom Erdboden verschluckt.
Als sie den Pfad erreichten, der zu dem Hügel hinaufführte, wo die kleine Kapelle stand, entdeckte Keziah sie. Sämtliche Dorfbewohner hatten sich stumm vor der Kirchenveranda versammelt, wo George Hobson eine Rede hielt. Neben ihm stand Joseph Bloom und etwas weiter weg der riesige Schmied, der Hobson unverwandt anstarrte.
»Was machen sie da?«, fragte Keziah. »Hätte man Buschräuber gesehen, hätte man doch die Schulglocken geläutet.«
Nerida senkte den Blick. Und als sie nah genug waren, sodass Keziah hören konnte, was Hobson sagte, blieb ihr das Herz stehen.
»… die Nachricht von dem Massaker am Myall Creek hat in der ganzen Kolonie eine Welle der Empörung ausgelöst. Die
Nachrichten erreichen uns als Gerüchte, schneller als die Zeitungen. Und manche sind so schrecklich, dass wir sie nicht glauben können. Sicher wird es noch Wochen dauern, bis die ganze Wahrheit ans Licht kommt. Trotzdem lässt sich heute schon eines sagen. Das Verbrechen ereignete sich am 10. Juni auf den Liverpool Plains, die Trooper haben jetzt erst Beweise dafür gefunden. «
Erregt rieb sich Hobson die Hände. »In der Nähe der Hütte eines gewissen Mr. Kilmaister am Myall Creek fand man die Leichen von achtundzwanzig Eingeborenen – alten Männern, Frauen und Kindern.«
Ein Raunen flog durch die Menge. Drückte es Entsetzen oder etwas anderes aus? Keziah war nicht sicher, sie stand am hinteren Rand der Menschenmenge und konnte die Gesichter nicht sehen.
Hobson kam ins Stammeln, als er verkündete, der Grund für das Massaker sei unerklärlich. Seit Jahren habe es keinen Aufstand mehr seitens der Schwarzen gegeben.
»Wenn es stimmt, dass Kilmaister sich in der Vergangenheit mit diesem Stamm angefreundet hatte, dann ist es plausibel, dass sich die Eingeborenen in der Nähe seiner Hütte aufhielten, weil sie mit seinem Schutz rechnen konnten«, sagte er.
Keziah legte Nerida instinktiv den Arm um die Schulter. Das Mädchen zitterte.
Hobson sah zu ihnen herüber, und die Menschenmenge folgte seinem Blick. Plötzlich drehten sich alle zu ihnen um. Ihre ausdruckslosen Gesichter waren unergründlich.
»Es sind unsere Freunde«, flüsterte Keziah Nerida zu. »Hier bist du sicher.« Doch als sie Neridas Angst spürte, kamen ihr die Worte leer vor.
Die Menschen wollten Antworten und bestürmten Hobson mit Fragen.
Dessen schroffe Stimme verriet, wie aufgewühlt er war. »Es heißt, ein Haufen von Anteilseignern aus Big River sei mit Schwertern und Pistolen bewaffnet aufgetaucht und habe die
Eingeborenen zusammengetrieben. Nur zwei Schüsse wurden abgefeuert. Die übrigen Schwarzen wurden mit Schwertern niedergemetzelt. Angeblich hat der Bahnhofswärter nur noch einen Haufen verkohlter Leichname gefunden.«
Keziah war entsetzt über die Gewalt. Doch als sie hörte, wie manche »anständige Mitglieder« der Gemeinde ihre Sympathie für die Mörder bekundeten, packte sie das Grauen.
»Woher wissen wir, dass es Kilmaister war?«, rief Griggs.
»Das wissen wir nicht!«, ging Bloom hastig dazwischen. »Die Wahrheit werden wir erst erfahren, wenn ein Urteil gesprochen wurde. Aber wie es scheint, hat die Polizei ihn und weitere zehn oder elf Männer verhaftet. Man hat uns berichtet, dass sie alle wegen Mordes angeklagt werden.« Dann fügte er mit stillem Nachdruck hinzu: »Lasset uns hoffen, dass dem britischen Recht Genüge getan werde.«
Griggs warf Nerida einen Blick zu, dann wandte er sich an seinen Nachbarn und sagte so laut, dass alle es hören konnten: »Jeder weiß doch, dass Schwarze gar keine richtigen Menschen sind. Ihre Hirne sind kleiner als unsere. Ich wette, dass diese armen weißen Anteilseigner nur die Befehle ihrer Bosse ausgeführt haben.«
Keziah wäre am liebsten mit bloßen Fäusten auf ihn losgegangen, doch sie zügelte sich. Sie musste sich genauso benehmen wie Saranna Plews und ihre Wut zurückhalten.
»Wenn mein Arbeitgeber Mr. Hobson mir befiehlt, Sie wie einen Hund niederzuschießen, würden Sie dann auch Sympathie für mich empfinden, weil ich einem Befehl gehorchen muss, Mr. Griggs?«
Ein nervöses Raunen fuhr durch die Menschenmenge. Griggs schreckte vor dem ruhigen Gift in ihrer Stimme zurück, murmelte jedoch: »Was weiß schon eine hochnäsige englische Schullehrerin. «
Joseph besprach sich mit seinem Partner, ehe er die Hand hob und um Ruhe bat.
»Wir möchten Nerida versichern, dass sie und
Weitere Kostenlose Bücher