Die Blüte des Eukalyptus
verschwand. Jetzt stand ein Mädchen mit einem blauen Kapuzenumhang vor Daniel – dasselbe junge Mädchen, das er am Morgen in der Kirche gesehen hatte.
»Aye, Mr. Plews«, sagte sie errötend. »Ihren Arbeitgeber.«
»Nein, ich meine, ja. Doch. Er kam nach der Kirche vorbei und hat dieses Päckchen vergessen.«
»Gott sei Dank. Vater wusste nicht mehr, wo er es liegen gelassen hatte.«
Sie trat nervös von einem Fuß auf den anderen.
»Vater hat gesagt, Sie kämen zum Abendessen. Kennen Sie den Weg?«
Er nickte und folgte ihrem Blick zu seinen nackten Füßen.
»Ich putze gerade meine Stiefel«, log er.
»Dann gehe ich jetzt lieber wieder.« Das Mädchen schob sich Richtung Tür. »Ich bin Miss Plews. Sara Anne. Meine Freunde nennen mich Saranna.«
Daniel sah ihr nach, wie sie auf der Straße davoneilte und der Wind den Saum ihres blauen Umhangs um die Knöchel bauschte.
Er schloss die Tür der Galerie ab. Das Abendessen im Haus seines Herrn hatte eine ganz neue Bedeutung gewonnen.
Er rannte hinunter in sein Kellerzimmer. Das Gemälde war kalt und leblos, der Muttergottes nicht würdig. Fieberhaft fing er an, Saranna Plews’ Gesicht zu skizzieren, und jubelte innerlich. Er hatte seine perfekte Jungfrau Maria gefunden.
Beim Essen saß Daniel Saranna gegenüber und entdeckte, dass ihre Augen genauso blau waren wie der Umhang der Jungfrau Maria. Der Kragen ihrer weißen Spitzenbluse war so hoch, dass er ihren Kopf gerade zu halten schien. Er registrierte, dass ihre Finger ständig mit der Kamee-Brosche am Hals spielten, als stellte sie eine Verbindung zu etwas Lebenswichtigem dar.
Bei jeder ihrer seltenen Bemerkungen errötete sie. Daniel schwor sich, seinen nächsten Lohn für erstklassige Ölfarben auszugeben, um ihr gerecht zu werden. Wer brauchte schon Brot? Die Kunst allein befriedigte den Hunger. Doch als die Jungfrau Maria ihn aufforderte, sich nachzunehmen, ging ihm auf, dass dies seine erste richtige Mahlzeit seit Wochen war.
Daniel spürte, dass Saranna ein romantisches Ding war und ein behütetes Dasein unter dem wachsamen Auge ihrer Tante Georgina führte, der Hausherrin, die ihrem Bruder am anderen Ende der Tafel gegenübersaß. Bald wurde deutlich, dass diese alleinstehende, ältere Frau das Kind nach dem Tod ihrer Mutter großgezogen hatte. Sie zwitscherte wie ein Vogel, doch ihrem scharfen Blick entging nichts.
Nachdem die Puddingschälchen weggeräumt waren, erfand Plews einen Vorwand, um seine Schwester aus dem Zimmer zu
lotsen. Saranna war nervös und sah sich um, als suchte sie nach Worten. Daniel genügte es, sie nur anzuschauen, trotzdem brach er schließlich als Erster das Schweigen.
»Ihr Vater erzählte, dass Sie gern zeichnen, Miss Plews.«
Saranna fing an zu stammeln. »Ja, das stimmt. Aber nicht besonders gut. Vater sagt, dass Sie sehr begabt sind. Vielleicht hätten Sie Lust, mir eines Tages Ihre Arbeiten zu zeigen?«
»Mit größtem Vergnügen.« Daniel strich sich eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht, eine Manie, die, wie er sehr wohl wusste, seine Nervosität verriet. »Aber Ihr Vater …«
»Ihr Vater hätte nicht das Geringste einzuwenden«, fiel ihm Plews, der gerade wieder eintrat, ins Wort. Als Saranna nicht reagierte, drängte er sie. »Daniels Arbeit ist überaus beeindruckend. Es würde ihm bestimmt nichts ausmachen, dir Unterricht zu geben, nicht wahr?«
Zwei Wochen später kam Daniel mitsamt dem Porträt seiner Jungfrau wieder. Die Mitglieder der Familie Plews warfen sich verstohlene Blicke von der Seite zu. Tante Georgina konnte nicht an sich halten. »Das ist sehr gut. Obwohl deine Jungfrau Maria eine geradezu unheimliche Ähnlichkeit mit unserer Saranna hat.«
Maynard Plews tat überrascht. »Aye, tatsächlich, sie hat Recht. Was meinst du, mein Kind?«
Saranna lief puterrot an, als alle drei Augenpaare sich ihr zuwandten, damit sie ihr Urteil kundtat.
Daniel überspielte ihre Verlegenheit, indem er seinen Master fragte: »Gestatten Sie mir, das Bild Ihrer Tochter zu schenken, Sir?«
Plews nickte. Als sie die Arme ausstreckte, um Daniels Geschenk in Empfang zu nehmen, spiegelten sich in ihrem Blick ihre Gefühle wider.
Nach dem Essen erhob sich Plews.
»Ich nehme an, die Damen werden uns entschuldigen, während wir uns im Arbeitszimmer einen Portwein genehmigen.«
Daniel versuchte, es sich in einem Ledersessel bequem zu machen. Er war es nicht gewöhnt, dass man ihn als ebenbürtig behandelte.
Als er den Portwein probierte, hielt
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