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Die Blüte des Eukalyptus

Die Blüte des Eukalyptus

Titel: Die Blüte des Eukalyptus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Nicholls
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hier sind, ziehen sie vielleicht weiter.«
    Als Keziah die Frau unter den Tisch schob, spürte sie, wie sie am ganzen Leib zitterte. Sie wollte nicht den Helden spielen, aber sie war ihr etwas schuldig. Diese Frau mit dem harten Gesicht hatte ihr heimlich Essen in die Zelle gebracht, damit sie dem kleinen Yosie die Brust geben konnte.
    In einem chaotischen Rhythmus schlugen sie mit Stangen und Knüppeln gegen die Gitter und die Tür. Doch nicht einmal das war laut genug, um Oolas Schrei zu übertönen: »Bringt die Schlampe um!«
    Mehrmals rammten sie die Tür mit einem harten Gegenstand, bis sie aus den Angeln sprang. Dann stürzte Oola an der Spitze einer schreienden Meute herein. Keziah stellte sich ihnen entgegen.
    »Jetzt denkt doch einmal nach! Wir alle wollen bessere Haftbedingungen, aber die erreichen wir nie, wenn wir jemanden umbringen! Die Militärpolizei wird gleich da sein!«
    Doch die ansteckende Wut hatte ihren Verstand bereits ausgeschaltet. Oola war ihr Sprachrohr.
    »Hört euch an, was das Schoßhündchen der Leiterin sagt. Nun, jetzt kann die Schlampe dich nicht mehr vor mir schützen, Zigeunerin!«
    Oola holte mit ihrer Stange aus, um Keziah den Schädel einzuschlagen. Diese wollte dem Schlag ausweichen, duckte sich und stürzte. Die Gesichter, die sie schreiend umringten, waren ihr alle vertraut, aber die Rage hatte sie derart verzerrt, dass Keziah sie nicht wiedererkannte.
    »Die Schlampe ist unsere Gefangene!«, schrie Oola. »Und die Zigeunerin auch. Bringt sie in den Gang, damit wir unseren Spaß mit ihnen haben können.«
    Als Oola sie an den Haaren in den Gang zog, bekam Keziah die wimmernde Gefängnisleiterin einen Augenblick zu sehen.
    Vier Gefangene trugen sie an Beinen und Armen wie ein gefangenes Tier, das über einem Feuer geröstet werden soll. Andere traten und schlugen der wehrlosen Frau ins Gesicht.
    Keziah war davon überzeugt, dass sie so gut wie tot waren. Oola brauchte den anderen nur den Befehl zu erteilen, und sie würden sie aufknüpfen, weil niemand den Mut aufbrächte, sich ihr zu widersetzen.
    Während sie versuchte, den Kopf, so gut es ging, vor ihren Schlägen zu schützen, erkannte sie das Rot der Uniformen. Nie im Leben war sie über den Anblick des Militärs so erleichtert gewesen. Die Frauen ließen die Direktorin und sie einfach fallen und richteten ihre Wut gegen die Soldaten, obwohl sie mit ihren Knüppeln und Stangen nur wenig gegen deren Musketen ausrichten konnten.
    Sie sah, wie die Soldaten geschlossen auf sie zukamen. Als die Frauen mit ihren Knüppeln auf sie einschlugen, drängten sie sie
mit vorgehaltenen Musketen zurück. Nur ein einziger Schuss wurde als Warnung über die Köpfe der Frauen hinweg in die Luft abgegeben.
    Die Wut der weiblichen Insassen verebbte bald. Keziah wusste, dass sich viele von ihnen mit den Soldaten angefreundet hatten und das Geld oder die grobe Zuneigung schätzten, die sie bekamen. Jede Frau hatte ihren Preis.
    Einer der Soldaten rief mit blutigem Gesicht, aber nicht ohne Humor: »Jetzt beruhigen Sie sich, meine Damen! Wäre doch jammerschade, wenn wir Ihnen allen Ihr schönes Haar abschneiden müssten.«
    Keziah half der Gefängnisleiterin beim Aufstehen. Sie hatte eine geplatzte Lippe, konnte aber noch sagen: »Das werde ich dir nie vergessen.«
    Keziah blieb keine Zeit zu antworten. Oola beobachtete sie schwer atmend. Sie versuchte, die kalte Angst zu verbergen, die sie bei ihrem anzüglichen Grinsen spürte.
    »Du glaubst, du kannst in die Zukunft sehen, was? Dann weißt du auch, was ich mit dir machen werde, Zigeunerin!«

SIEBENUNDFÜNFZIG
    K eziah saß allein in dem kleinen Gefängnishof. Zwei Wochen waren seit dem Aufstand vergangen. Am Morgen sollte Daniel sie abholen und nach Hause bringen, nachdem die Behörden dem Antrag, sie ihrem Mann zuzuweisen, zugestimmt hatten. Sie hatte alles für ihre Entlassung vorbereitet und saubere Häftlingskleidung angezogen. Ihr Roma-Tuch bedeckte den Kopf mit Ausnahme des Zopfs, der ihr über der Schulter hing. Trotzdem war sie völlig gefühllos. Jetzt endlich war der Tag gekommen, vor dem sie sich wochenlang gefürchtet hatte. Es gab kein Entkommen. Durch das Fenster im Büro der Gefängnisleiterin sah sie, wie die Frau den Kopf über den Schreibtisch beugte. Sie trug einen Verband. Ihr Mund war verzogen, nachdem die geplatzte Oberlippe hatte genäht werden müssen. Einen Moment lang kreuzten sich ihre Blicke. Wird sie Wort halten?
    Keziah wusste, dass der Schlussbericht positiv

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