Die Blüte des Eukalyptus
ihrer Pritsche. Sie hatte das Abendessen ausfallen lassen müssen, und ihr Magen war immer noch verkrampft vor Nervosität, wenn sie daran dachte, was vor ihr lag. Die Gefängnisleiterin hatte keine Miene verzogen, als sie Keziah die Nachricht überbrachte.
»Du wirst auf Bewährung freigelassen und deinem Ehemann zugewiesen. Offensichtlich stimmt es, dass du mächtige Freunde bei Gericht hast.«
Dann hatte sie auf dem Absatz kehrtgemacht und war verschwunden.
Seit sie Daniel den eingepackten kleinen Yosie mitgegeben hatte, war es zu schmerzhaft gewesen, sich daran zu erinnern, wie er aussah, trotzdem konnte sie in ihren Träumen seinem Anblick und seinem Geruch nicht entkommen. Oft wachte sie auf und war sicher, dass sie ihn hatte weinen hören. Und jedes Mal, wenn sie sah, wie eine Gefangene ihr Kind im Arm hielt, überkam sie ein schreckliches Gefühl der Leere.
Sie sagte sich, dass man im Gefängnis nur überleben könne, wenn man alles mit sich geschehen ließe, ohne irgendetwas zu fühlen.
Bestimmt hatte Daniel die Sarishan-Farm bereits verlassen und war auf dem Weg zu ihr. Sie konnte die Tage, die ihr bis zur Entlassung verblieben, an einer Hand abzählen. Dann würde sie zum letzten Mal durch das Haupttor der Anstalt treten. Sie wäre frei, um den Wind in ihrem Haar und die Sonne auf ihrem Gesicht zu spüren, um zu laufen, zu tanzen und die Nacht willkommen zu heißen. Zum ersten Mal konnte sie den Schmerz nicht
unterdrücken, Jakes geliebtes Gesicht vor sich zu sehen. Er würde sie unter den Sternen lieben wollen.
Sie drehte ihr Gesicht der Wand zu, erstaunt über ein Gefühl, das sie seit einem Jahr nicht mehr kannte, aber waren es Tränen der Freude oder der Angst?
Am nächsten Morgen schlüpfte sie hastig in ihre Häftlingskleidung und stand als Erste in der Schlange im Speisesaal, um ihr Frühstück entgegenzunehmen: ein Stück Brot und eine Schale Haferschleim. Heute war die übliche Spannung eskaliert. Sie setzte sich zu der ruhigsten Frauengruppe – zu jenen, die entweder zu apathisch waren, um Ärger zu machen, oder wie die den Rädelsführerinnen aus dem Weg gehen wollten. Eine alte Frau flüsterte Keziah eine Warnung zu, ohne den Blick von ihrem leeren Teller zu heben.
»Nimm dich heute in Acht, Mädchen. Oola heckt irgendwas aus, eine Meuterei. Das hab ich im Gefühl.«
Keziah nickte. »Ich werde aufpassen.«
»Jeder weiß, dass sie ein Auge auf dich geworfen hat. Sie kann zwar jede andere ins Bett kriegen, aber sie will dich, dein wildes Haar, was?« Die Alte gackerte verständnisvoll und setzte dann leise hinzu: »Tu alles, was du tun musst, schließlich brauchst du nur noch ein paar Tage in diesem Loch auszuhalten.«
Keziah legte der Frau ihr Brot auf den leeren Teller. »Danke, ich werde es dir nicht vergessen.«
Kaum hatte sie es gesagt, als sie im Korridor lautes Geschrei und Gefluche hörte. Sie spürte die Angst und die Erregung, die in der Luft lag, als die Frauen auf den Ausgang zuliefen, blieb aber sitzen, um ihre Entlassung nicht zu gefährden.
Dann stürmte eine Gruppe von weiblichen Häftlingen in den Speisesaal, manche stießen die Fäuste in die Luft, andere schwangen abgebrochene Stuhlbeine. Vorneweg ging die Rädelsführerin, Oola, deren muskulöse Arme mit Tätowierungen bedeckt waren. Man hatte ihr vor Kurzem den Schädel kahl geschoren, eine
Strafe, die die meisten Frauen hassten. Sie sah aus wie ein Kriegsmatrose, und ihre Augen funkelten vor Kampfgeist.
»Wer nicht für mich ist, ist gegen mich! Mein Feind! Die verdammte Gefängnisleiterin kümmert sich nur noch um ihre Schützlinge. Los, mir nach, ihr Memmen! Geben wir dieser Hexe, was sie verdient: eine ordentliche Tracht Prügel!«
So gut wie alle Insassinnen liefen Oola in die Richtung nach, in der sich die Leiterin zu dieser Tageszeit gewöhnlich aufhielt. Keziah aber hatte gesehen, dass sie heute ausnahmsweise noch in ihrem Büro saß und Papierkram erledigte, und rannte los, um sie zu warnen.
Die Fenster im Büro der Gefängnisleiterin waren geschlossen. In wenigen Minuten würde Oola ihren Irrtum bemerken. Keziah stürzte durch die Tür. »Eine Meuterei! Oola und ihre Bande laufen Amok!«
Die Gefängnisleiterin schien zu schrumpfen. Wie angewurzelt saß sie an ihrem Schreibtisch und rührte sich nicht, während das Geschrei und die Schritte immer näher kamen. Keziah übernahm die Initiative.
»Verstecken Sie sich unter dem Schreibtisch. Ich verriegele die Tür. Wenn die glauben, dass Sie nicht
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