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Die Blüte des Eukalyptus

Die Blüte des Eukalyptus

Titel: Die Blüte des Eukalyptus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Nicholls
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Hausangestellten. Sie wusste, dass diese Beleidigung für ihre Ohren bestimmt war.
    Der Butler hatte Mrs. Wills gerade eröffnet, dass sie ihre Vorbereitungen ohne Stanley bewältigen müsste. Keziah hätte an diesem Nachmittag eigentlich wie jeden Monat einen halben Tag frei gehabt. Da es der Tag vor dem großen Ball der Morgans war und jede Hand gebraucht wurde, hatte Mrs. Wills ihr verboten, sich frei zu nehmen. Und jetzt war ihre Anweisung von dem jungen Master Caleb aufgehoben worden!
    »Was sind denn das für Zustände, wenn die Haushälterin von zwei Herren im Haus widersprüchliche Anweisungen erhält.«
    Der Butler verließ sie mit einer Warnung. »Das geht uns nichts an.«
    Keziah ging mit neuem Tatendrang an die Arbeit, sie war fest entschlossen, noch vor der Mittagspause mit dem vollen Tagespensum fertig zu werden, damit die anderen Dienstboten im Haus sich nicht darüber beschweren konnten, ihre Arbeit miterledigen zu müssen. Beim Silberputzen stellte sie sich die prächtigen Ballkleider und Juwelen am morgigen Kostümball vor.
    Offiziell wurde mit dem Maskenball der 18. Juni gefeiert, Waterloo, der Jahrestag des Sieges von Duke Wellington über Napoleon, doch beim Personal war es kein Geheimnis, dass John Morgan hoffte, seine junge Gattin mit diesem Ball aus ihrer Melancholie reißen zu können. Zweifellos wäre die Herrin des Hauses
wütend gewesen, hätte sie gewusst, dass sie von einer jungen Zigeunerin bemitleidet wurde, doch Keziah konnte nichts dagegen tun. Trotz aller Launen und Wutausbrüche hatte sie das Gefühl, dass Sophies tiefe Traurigkeit ein Widerhall ihrer eigenen war. Wenn sie nur die Möglichkeit hätte, sie zu heilen, doch diese Hoffnung war aussichtslos.
    Als sie mit ihrer Arbeit fertig war, lief Keziah die Treppen zum Dachgeschoss hinauf. Ihre Stube war so winzig, dass sie nicht gezwungen wurde, sie mit irgendwem zu teilen. Sie legte ihre verhasste Uniform und die gestärkte Haube ab und zog ihre bunten Roma-Kleider an. Jetzt fühlte sie sich wieder frei. Doch der Gedanke, dass sie ihren Sieg Calebs Einschreiten verdankte, warf einen beunruhigenden Schatten auf ihre Freiheit. Sie schnürte die Stiefel zu und lief so schnell die Treppen hinunter, dass sich ihr roter Unterrock bauschte und sie das Gefühl hatte, durch die Luft zu schweben.
    Da Caleb ihr gestattet hatte, durch die Parkanlagen zu spazieren, die den anderen Bediensteten verboten waren, lief sie den von Lavendelbeeten gesäumten Pfad entlang durch den süß duftenden Küchengarten und winkte dem alten Gärtner zu. In der Mitte gab es Beete mit kugelförmigen roten Rosensträuchern. Der Wind peitschte ihr von allen Richtungen ins Haar.
    »Endlich frei!«, schrie sie ihm entgegen.
    Sie fühlte sich wie ein Kind in einem verzauberten Garten, und als sie um die Ecke bog, stockte ihr vor lauter Bewunderung der Atem. Von dichten rosafarbenen Kletterrosen umrankt wölbte sich eine kleine Holzbrücke über einen künstlichen See. Goldkarpfen funkelten in allen Farben des Regenbogens.
    Die Brücke führte zu einer von Menschenhand geschaffenen Insel mit einem aberwitzigen Garten und einem kleinen heidnischen Tempel aus moosgrünem Marmor, dessen Kuppel von kannelierten Säulen getragen wurde. Es war der perfekte Schutz für einen Tisch, der auf drei Seiten von einem runden Steinsitz umgeben war.

    Ehrfürchtig blieb sie davor stehen. Mi-duvel! Es war noch viel schöner, als Caleb behauptet hatte.
    Ein junges Mädchen in einem griechischen Gewand mit nacktem Oberkörper stand von Bäumen umgeben vor ihr. Der Jagdhund aus Marmor zu Füßen der Statue wirkte so echt, dass Keziah meinte, sie könnte ihn bellen hören.
    Als sie den kleinen Tempel betrat, sprach sie hastig ein Gebet für den Gott, dem er geweiht war, und konzentrierte sich dann auf ihr Problem. Trotz der Warnung ihrer Puri Dai hatte sie sich im Spinnennetz der Welt der gaujo verfangen.
    Woche für Woche war sie nachlässiger geworden, wenn es darum ging, ihre alten Roma-Rituale zu praktizieren. Wenn sie ihre Wäsche wusch, unterschied sie nicht mehr zwischen den oberen und unteren Kleidungsstücken. Sie nahm willentlich an den Gebeten im Haushalt der gaujo teil, vernachlässigte aber ihre eigenen Roma-Gebete. Sie erfand billige Ausreden – zum Beispiel, dass sie zu müde sei nach dem langen Arbeitstag und ihren Leseübungen am Abend. Jetzt aber musste sie sich der Realität stellen. Sie hatte sich verführen lassen von einem weichen Bett, fertigen Mahlzeiten und der

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