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Die Blüte des Eukalyptus

Die Blüte des Eukalyptus

Titel: Die Blüte des Eukalyptus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Nicholls
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dieses Land Schätze, die wertvoller waren als Gold, so etwa die Kalksteinhöhlen voller Stalagmiten, die nur wenige weiße Männer kannten – und Jake hatte keine Eile, diese Geheimnisse preiszugeben.
    Er ritt durch eine Lücke im Gestrüpp und gelangte zu einer Lichtung. Riesige Bäume lagen dort wie gefallene Soldaten auf dem Schlachtfeld. Hier musste vor Kurzem ein Buschfeuer gewütet haben. Nur wenige standen noch aufrecht, verkohlte Stämme von Ironbark- und Bloodwood-Eukalyptus, an denen schon wieder Unmengen von minzgrünen Blättern ausschlugen – für Jake der Beweis dafür, dass kein Waldbrand die Natur jemals gänzlich vernichten konnte.
    Als Jake eine Pause machte, um sich zu erleichtern, fiel sein Blick auf etwas Weißes, das er zunächst für Tierknochen hielt. Doch als er genauer hinsah, ging ihm auf, was es war.
    Ein von der Sonne ausgebleichter Menschenschädel. Aus einer der leeren Augenhöhlen krabbelte ein schwarzer Käfer heraus. Im Unterholz lag ein Skelett, die Arme wie zu einem Kreuz ausgestreckt, die Beine leicht gespreizt, als hätte es trotz der Fußfesseln versucht, vor dem Tod davonzulaufen.
    »Verflixt und zugenäht. Du armer Teufel!« Jakes Stimme war heiser vor Anstrengung, als er seit Tagen zum ersten Mal wieder sprach. Er kniete neben dem entlaufenen Strafgefangenen nieder und fragte sich, wie weit er es von seiner Strafkolonie wohl geschafft hatte. Offensichtlich war ihm ein einsamer Tod lieber gewesen, als Nacht für Nacht in der erstickenden Hitze dieser
fahrbaren Häftlingshütten eingesperrt zu bleiben, die so eng waren, dass höchstens ein Toter horizontal Platz darin hatte.
    Jake begann, Steine zu sammeln, doch dann zögerte er, den toten Mann zu begraben. Kein Name. Nichts von Wert, das er ihm ins Grab legen konnte. Irgendwie schien es nicht richtig zu sein.
    Aus einem Impuls heraus streifte er seinen goldenen Trauring vom Finger und las die Inschrift auf der Innenseite. 5. Mai 1833 – Jakob und Jenny – in ewiger Liebe . Dasselbe wie auf dem anderen Ring, den Jenny zurückgelassen hatte. Trotzig warf er seinen Ehering auf das frei liegende Grab.
    »Was soll ich noch damit?«, murmelte er. Dann bedeckte er das Skelett mit Steinen und legte die Fußfesseln am Kopf des Grabes ab, bevor er wieder auf sein Pferd stieg.
    Nach ein paar Meilen erreichte er eine Allee mit riesigen Eukalyptusbäumen, die sich so tief über die Straße wölbten, dass sie den Himmel verbargen.
    Jetzt konnte er auch die Vorschlaghämmer und Picken deutlich hören. Als er um eine Kurve kam, erwartete ihn ein hässlicher Anblick, der ihm nur allzu vertraut war.
    Eine Gruppe von etwa dreißig ausgemergelten Strafgefangenen schlug auf einen Sandsteinfelsen unter der sengenden Sonne ein, angetrieben von der Muskete eines Soldaten. Die meisten hatten kahl geschorene Köpfe. Alle trugen mit Nummern oder schwarzen Pfeilen markierte, von der Sonne gebleichte Häftlingskleidung. Mützen oder geknotete Taschentücher schützten ihre Schädel vor der Sonne. Mit ihren aneinandergeketteten Beinen sahen sie aus wie eine seltene Spezies menschlicher Tausendfüßler.
    Die Szene erinnerte Jake daran, dass ihn nur eine Generation von diesen Strafgefangenen trennte. Isaac Andersen war als Kriegsgefangener hierhergekommen, nachdem die britische Marine ein dänisch-norwegisches Schiff aufgebracht hatte, das mit Napoleon verbündet gewesen war. Pa behauptete, er hätte Glück gehabt, seine Strafe während der einigermaßen menschlichen Ära
von Gouverneur Lachlan Macquarie abgesessen zu haben, der ihn begnadigt und ihm ein Stück Land zugewiesen hatte. Pa hatte es mit viel Mühe urbar gemacht, und Mas Fruchtbarkeit hatte für den Nachschub von kostenlosen Landarbeitern gesorgt.
    Jake konnte nie ohne ein nettes Wort an einer Gruppe von Strafgefangenen vorbeigehen.
    »Morgen, Jungs. Was für ein Mist, in dieser Hitze für Ihre Majestät schuften zu müssen, was?« In den Flüchen und dem Gelächter erkannte Jake ein halbes Dutzend verschiedener Akzente: Cockney, Irisch, Schottisch, Gälisch und andere Dialekte, die kaum noch Ähnlichkeit mit der englischen Sprache hatten, so wie er sie kannte.
    Der einzige Soldat vor Ort sah kaum älter aus als Jake und machte einen etwas dümmlichen Eindruck. Er schwitzte in seiner wollenen Winteruniform mit der brandneuen, blauen Kosakenhose. Die Fliegen raubten ihm den Verstand, ständig schlug er mit dem Zweig eines Eukalyptusbaumes nach ihnen.
    Vielleicht hat man den armen Kerl ja

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