Die Blüte des Eukalyptus
sie kühl.
Als Antwort holte John Morgan einen Beutel mit Goldmünzen aus der Schublade und legte ihn auf den Schreibtisch.
Keziah verstand den Ausdruck in seinen Augen. Für ihn war sie nicht mehr als eine geldgierige Zigeunerin, die für dreißig Silberlinge ihr Kind verkaufte.
Bedächtig wog sie den Beutel in der Hand, wobei sie ihm in die Augen sah, dann ergriff sie die Feder und setzte ihren Namen unter das Dokument.
Als Keziah sich auf der stockdunklen Hintertreppe zu ihrer Dachstube hinauftastete, war es im Haus völlig still. Sie durchwühlte den Schrank nach ihren wenigen Habseligkeiten und warf sie in eine alte Reisetasche, die sie aus einem Haufen ausrangierter Sachen gerettet hatte.
Sie riss sich die Hausmädchenuniform vom Leib und zog hastig ihre eigenen Kleider an. Als sie den kleinen Samtbeutel mit den Münzen sah, den Caleb ihr gegeben hatte, erinnerte er sie an das Versprechen, auf ihn zu warten, und sie erstarrte. Jetzt, da sie die Wahrheit kannte, konnte sie Calebs Gesicht nicht mehr von dem seines Vaters John Morgan trennen. Vater und Sohn waren für immer zu einem verhassten Symbol der Macht verschmolzen.
Mit ihrer Tasche stolperte sie über den Rasen von Morgan Park auf den Dienstboteneingang zu. Ihr Kleid war so feucht wie eine zweite Haut, ihre Sicht vom Schweiß geblendet, der ihr in die Augen lief. Ihr ganzer Körper roch nach Angst.
Am Straßenrand blieb sie stehen, lehnte sich an einen Baum,
um aus dem Saft, der unter der Rinde des Stammes floss, Kraft zu schöpfen, und dachte nach.
Welche Optionen hatte sie? Das Wichtigste war, den Plan der Morgans zu vereiteln, die sie als Zuchtstute für Sophie Morgan missbrauchen wollten. Wenn aber ihre Schande bekannt wurde, wäre sie in den Augen ihres Volkes eine Ausgestoßene. Gem würde ihr niemals verzeihen.
Es gab nur eine Lösung. Sie würde die Geburt des Kindes verhindern, und zwar mithilfe einer alten Überlieferung ihres Volkes. Wenn sie das Grab eines Kindes aufsuchte und der Schatten seines Grabsteins auf sie fiel, würde die »Unannehmlichkeit« ihren Körper verlassen.
Keziah wischte sich mit dem Rocksaum über das Gesicht und ging schnellen Schrittes die menschenverlassene Straße entlang.
Vom Kamm eines Hügels aus blickte sie auf den Turm einer normannischen Kirche in der Ferne. Sie betete zu Del , dass die Sonne, die noch darum kämpfte, durch den grauen Wolkenhimmel zu brechen, stark genug wäre, um den Schatten auf sie zu werfen, den sie für ihre Erlösung so dringend brauchte.
Die steinerne Kirche lag auf einem Hügel hoch über dem Dorf, das zu dieser frühen Stunde noch menschenleer war, wenn man vom Karren eines Bauers neben dem Wirtshaus absah.
Sie vergewisserte sich, dass niemand sie sehen konnte, und folgte dem Pfad zu einem verwahrlosten Friedhof, dessen verwitterte Grabsteine halb im hohen Gras versanken.
Ein altes, an einem Pfosten angebundenes Schaf versuchte, die Stelle um sich herum abzugrasen. Sie klopfte ihm auf den wolligen Rücken und ging auf der Suche nach einem geeigneten Grab weiter.
Auf allen Friedhöfen stieß man auf traurige Beweise für Kinder, die bei der Geburt gestorben oder vorzeitig von einer Seuche dahingerafft worden waren. Viele ruhten in namenlosen Armengräbern, doch Keziah wusste, dass liebende Eltern sich oft
hoffnungslos verschuldeten, um ihrem verstorbenen Kind einen Grabstein kaufen zu können.
Sie brauchte nicht lange, um ein Grab zu finden, das von einem geflügelten Engel aus Stein bewacht wurde. Mühsam entzifferte sie die Inschrift. Hier ruht unser geliebter Sohn Georgie Simmons, drei Jahre alt. Möge Gott ihm seine ewige Ruhe schenken. 21. März 1818.
Keziah sprach ein Gebet für Georgies Seele, prüfte den Stand der Sonne und warf einen Blick auf die römischen Ziffern der Turmuhr. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis der Schatten des Grabsteins auf sie fiele.
Während sie auf das Läuten der Kirchenuhr wartete, lief es ihr eiskalt über den Rücken. Es war plötzlich völlig still geworden, sogar das Zwitschern der Vögel war verstummt. Sie war wie gelähmt, während der Schatten langsam auf sie zukroch.
Und dann sah sie ihn. Ein mulo ! Der Geist des dreijährigen Jungen löste sich aus dem Schatten des Grabsteins. Keziah starrte auf seine blonden Locken und die tiefblauen Augen in dem blassen Gesicht. Er war barfuß und trug Sommerkleidung.
» Mi-duvel! «, flüsterte sie erschrocken. »Warum schickst du mir diesen mulo ?«
Der kleine Geist streckte
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