Die Blüte des Eukalyptus
Düften geschwängert, sodass Keziah wie berauscht war, bis ihr bewusst wurde, dass sich Gem bei diesem Anblick vermutlich gefragt hatte, ob er jemals freikäme, um diese Welt wieder zu verlassen.
»Mir ist es egal, wo ich lebe, Gem«, flüsterte sie, »Hauptsache, ich kann bei dir sein.«
Dann erinnerte sie sich an die Wölbung unter ihrem Kleid und fügte leise hinzu: »Dich hatte ich schon ganz vergessen. Aber du bist ein Problem, um das ich mich ein andermal kümmern werde.«
Keziah nahm ihre Reisetasche und eilte den Kai hinunter, Richtung The Rocks, ein Viertel, das sich auf der westlichen Seite von Sydney Cove erstreckte. Sie wusste, dass sie jeden Penny zweimal umdrehen musste, ehe sie ihn ausgab, trotzdem würde es sich lohnen, ein paar Münzen für eine sichere Bleibe auszugeben. Wenn ihr das Geld ausging, konnte sie immer noch den gaujo aus der Hand lesen.
Ihr Zimmer in einer Privatpension auf dem höchsten Punkt von The Rocks war spartanisch eingerichtet, aber erstaunlich sauber. Jetzt konnte sie sich selbst und ihre Kleider zum ersten Mal seit dem Aufbruch aus England wieder so waschen, wie es den Sitten der Roma entsprach.
Das Allerschönste war der Blick über die Dächer der armseligen Mietsbaracken unterhalb. Das Fenster ging auf den wolkenlosen Himmel und einen großen Teil des belebten Hafens hinaus, wo ständig Schiffe ein- und ausliefen.
Australien . Keziah betrachtete ihre neue Welt mit den Augen einer Roma. Trotz des von Menschenhand geschaffenen Elends, das sich in den Gassen unter ihr zusammendrängte, war die weite Landschaft, die an den Hafen grenzte, von einer eigenartigen, verschwenderischen Schönheit. Die Vitalität, die hier in der Luft
hing, schien jedem, der den Mut besaß, die Gelegenheit beim Schopf zu packen, eine herrliche Zukunft zu verheißen.
Mit The Rocks im Rücken ging sie durch einen vergleichsweise zivilisierten Teil der George Street, in dem es eine Vielzahl von kleinen Ständen mit exotischen, tropischen Früchten und englischem Gemüse bis hin zu Spirituosengeschäften, Wirtshäusern, eleganten Ausstattern, Antiquitätenläden und Pfandhäusern gab. Keziah wusste, dass es sich bei dem vielen Silber und Schmuck, die in Sydney Town öffentlich verkauft wurden, um in England gestohlene Waren handelte, die man hier viel sicherer als in der Heimat wieder abstoßen konnte. Was für eine verkehrte Welt – hier herrschten völlig andere Moralvorstellungen und gesellschaftliche Gepflogenheiten als zuhause, und es gab jede Menge Möglichkeiten, das Gesetz zu seinen Gunsten auszulegen!
Als sie ein paar regenbogenfarbene Papageien entdeckte, die in Käfigen an Ladeneingängen hingen und jämmerlich kreischten, hätte sie sie am liebsten gekauft und freigelassen, doch sie musste ihr Geld zusammenhalten.
Elegant gekleidete Frauen schlenderten am Arm von Militäroffizieren vorbei, die in ihren roten Serge-Uniformen schwitzten und deren englische Haut unter den Husarenmützen rosig glänzte.
Aneinandergekettete, kahlköpfige Strafgefangene zogen vorbei, von Soldaten bewacht. Dunkelhäutige Eingeborene rauchten ihre Pfeifen und schienen jedes weggeworfene europäische Kleidungsstück aufzutragen, das ihnen in die Hände fiel.
Doch Keziah hatte keine Zeit für die Verlockungen dieser fremden Welt. Sie wollte Gem finden, ehe ihr Bauch zu dick und ihr Ehebruch offenkundig wurde.
Ungeduldig wartete sie in der Verwaltung für Strafgefangene, bis man sie endlich empfing. Der blasierte Beamte hatte einen schmutzigen Kragen und achtete mehr auf ihre Brüste, als ihr bei ihrer Suche behilflich zu sein.
»Besagter Sträfling, Gem Smith, ist das Ihr Ehemann, Madam? «
War es für sie besser, mit Ja oder mit Nein zu antworten? Sie fasste einen schnellen Entschluss. »Ein naher Verwandter. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie in Ihrer Akte nachsehen könnten – wie heißt es noch, im Strafgefangenenregister?«
Der Beamte schlug ein dickes Registerbuch auf. »Ihr Smith’ vermehrt euch aber auch wie die Karnickel.«
Keziah war so wütend, dass sie ihm am liebsten das Lächeln aus dem Gesicht geschlagen hätte, doch es war nicht klug, sich ihn zum Feind zu machen, daher versuchte sie lieber, ihm zu helfen.
»Er heißt Gem, G-E-M. Zwanzig Jahre alt. Geboren in Wales. So viele Smith’, auf die diese Beschreibung passt, dürfte es eigentlich nicht geben, oder?«
Der Beamte fuhr mit seinem schmutzigen Fingernagel über eine Liste. »Na, hier haben wir einen Jem Smith, mit J.
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