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Die Blüte des Eukalyptus

Die Blüte des Eukalyptus

Titel: Die Blüte des Eukalyptus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Nicholls
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Schiffsrumpf säumten. Zwischen den einzelnen Kojen gab es einen halben Meter Platz, und sie waren so schmal, dass man sich kaum darin umdrehen konnte. Nach einem Leben in Freiheit auf offener Straße war es eine Qual, mit dreißig gaujo -Einwanderern auf den beengten Raum in ihrer Abteilung begrenzt zu sein und sich genötigt zu sehen, in dem wuselnden Durcheinander zu essen und sich zu waschen. Sie musste sich den Platz nicht nur mit Frauen und kränkelnden Kindern teilen, sondern auch mit gesunden Ehemännern, die des Nachts auf ihre ehelichen Rechte pochten.

    Sie hatte ihre Ration längst aufgegessen, doch das Kind in ihrem Bauch erinnerte sie daran, dass sie dringend eine Möglichkeit finden musste, ihre Hungerattacken in Schach zu halten. Wie lange war es noch bis zur Morgendämmerung?
    Im Dunkeln zog sie vorsichtig ihren Schal über ihren dicken Bauch. Aber die Brüste, die gegen das enge Mieder pressten, ließen sich nicht verbergen.
    Keziah seufzte. Könnte der Vater dieses Kindes doch nur Gem sein!
    Als sie an der Kombüse vorbeikam, sah sie, dass der Koch noch fest schlief. Sie stibitzte ein Stück Käse und einen Kanten altbackenes Brot und stieg an Deck.
    Dort hielt sie sich an der Reling des schlingernden Schiffes fest und blickte auf den Horizont. Die ersten Anzeichen der Morgendämmerung brachten eine Brise mit sich, die durch ihr Haar und über ihr Gesicht fuhr und ihre Lebensgeister weckte. Voller Bewunderung beobachtete sie, wie geschickt ein Matrose zum Krähennest hinaufkletterte. Andere sangen Shantys, während sie fachmännisch die Segel setzten, um die morgendliche Brise zu nutzen.
    Mit einem Mal kam ein triumphierender Schrei aus dem Mastkorb. »Land ahoi!« Die tropische Sonne brannte auf sie hernieder, und Keziah schnappte nach Luft, als die Harlequin langsam in den überraschend großen Hafen einlief. Zugleich wurde sie unbarmherzig daran erinnert, dass der November hier am Ende der Welt Frühling bedeutete und heißer war als die vielen Hochsommer, die sie von Wales kannte.
    Beim Anblick der Inseln, die wie treibende Juwelen mitten im Hafen lagen, hielt sie den Atem an. Auf Backbord sandte eine davon, die wie eine von Bäumen bedeckte Pyramide aussah, ein Warnlicht an die Schiffe aus. Ein Seemann erklärte es ihr.
    »Das müsste Pinchgut sein, Ma’am. Noch vor Kurzem baumelten auf dem höchsten Punkt der Insel Gefangene, die Essen gestohlen hatten, an einem Galgen. Um andere abzuschrecken«,
setzte er leise hinzu. »Die guten alten Zeiten, wie man so schön sagt. Mittlerweile sollen die Behörden etwas zivilisierter sein. Heute ketten sie die armen Schweine unter der sengenden Sonne bei lebendigem Leib aneinander.«
    Als ihre Knie nachzugeben drohten, klammerte sich Keziah erneut an die Reling. Was, wenn Gem dasselbe Schicksal widerfahren war?
    »Hinter Sydney Cove liegt eine große Insel, ein paar Meilen den Parramatta River abwärts. Die Schwarzen hier nennen sie Biloela, die anderen Cockatoo Island. Dort bauen sie ein Gefängnis für die Schwerverbrecher – angeblich ist es zu hundert Prozent ausbruchsicher.«
    Cockatoo Island. Ein schöner Name, doch er erfüllte Keziah mit Grausen. Galt Gem vielleicht als Schwerverbrecher? Sie suchte die südliche Bucht nach irgendeinem Anzeichen von Regierungsgebäuden ab. Wo, um Himmels willen, sollte sie mit ihrer Suche beginnen?
    Der Seemann zeigte auf einige Sandsteinbauten – Fort Macquarie, Dawes Point Barracks und das alte Government House. Ahnte er etwa den Grund für ihre Neugier?
    »Dort drüben ist der Sitz der Verwaltung für die Strafgefangenen. Der richtige Ort für alle, die einen Verwandten oder Bekannten suchen.« Seine Worte klangen tröstlich. »Nicht wenige vorbildliche Bürger dieser Kolonie waren einst Strafgefangene. Australien gibt vielen eine zweite Chance. Haben Sie die Häuser da drüben gesehen, die der begnadigte Samuel Terry gebaut hat? Er stiftet viel Geld für diverse gute Zwecke oder religiöse Anliegen. Er ist inzwischen der reichste Mann in der Kolonie.«
    Keziah dankte ihm mit einem Lächeln. Eines Tages wird mein Gem wie Samuel Terry sein. Vielleicht nicht reich, aber besser als das – ein freier Mann!
    Als ein Schwarm von blau, smaragdgrün, rot und gold gefärbten Regenbogen-Papageien über sie hinwegschoss, stieß Keziah einen Freudenschrei aus. Der phantastisch hohe Himmel
war wie die Kuppel in einem Märchenschloss, seine Farben ein exaktes Spiegelbild des blauen Hafens. Die Luft war von exotischen

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