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Die Blüte des Eukalyptus

Die Blüte des Eukalyptus

Titel: Die Blüte des Eukalyptus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Nicholls
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interessiert sich mehr für das, was die Gesellschaft über sie denkt, als für mein Schicksal.
    Er sah seine Mitgefangenen an. Für sie empfand er nichts. Sie waren bloß Objekte, die er malte, wann immer es ihm gelang, etwas Papier aufzutreiben und ein paar Kohlestückchen aus der Asche eines Feuers zu retten. Die meisten hatten brutale Gesichtszüge, bis auf einen. Er blickte hinüber zu Will Martens.
Mit seinen fünfzehn Jahren war der jüngste Neuankömmling rasch zur Zielscheibe für die grausamen Scherze der älteren Strafgefangenen geworden, doch ebenso schnell lernte er die Kunst des Überlebens. Daniel musterte seinen schlanken, knabenhaften Körper. Trotz seiner Fußfesseln hatte Will zum Vergnügen seiner Peiniger spontan angefangen, zu den Klängen von Nancy Dawson zu tanzen, das ein Seemann auf seiner Hornpipe spielte. Und als er den Refrain zum zweiten Mal anstimmte, » Her easy mien, her shape so neat. She foots, she strips, she looks so sweet. Her every motion so complete, I die for Nancy Dawson! «, klatschten sogar die abgebrühtesten Peiniger im Takt, um ihn anzuspornen.
    Daniel wusste, dass Will versuchte, seine Aufmerksamkeit zu wecken, doch er weigerte sich, Wills arrogantes Grinsen zu erwidern. Der Junge ist ein Dummkopf. Er folgt mir wie ein Hündchen. Besser, er sieht sich woanders nach einem Helden um, der ihn beschützt.
    Als Daniel den Aufseher auf seinem schwarzen Hengst sah, verbarg er seine wütenden Gedanken hinter einer ausdruckslosen Miene. Kein Zweifel, du hast den Bauch voll. Deine Missgeburt von Frau hat dir ein ordentliches Essen vorgesetzt. Schweinefleisch und Wein, bezahlt von dem Geld, das die Regierung für unsere Rationen bestimmt hat .
    Gerüchten zufolge hatte der Mann unzählige Namen, darunter auch Iago und James, doch war er allgemein bekannt unter dem Titel, den er sich erworben hatte, als er einen irischen Jungen zu fünfzig Peitschenhieben verurteilt hatte. Mit seinem letzten Atemzug hatte das sterbende Opfer ihm zugerufen: »Gott ist mein Zeuge, du bist der Teufel in Person!« Seitdem trug der Aufseher diesen Titel voller Stolz.
    Daniel ging in Habachtstellung wie alle anderen auch – selbst die härtesten Burschen zogen den Schwanz vor dem Aufseher ein. Trotzdem wurde sein Blick von den sinnlichen Zügen des Mannes angezogen, dem glänzenden Haar und dem Bart, die so
dicht und schwarz wie die Mähne seines Pferdes waren. Daniel wusste aus Erfahrung, dass seine Stimme am gefährlichsten war, wenn sie sanft und sarkastisch daherkam.
    »Wie ich sehe, macht ihr Schlappschwänze euch einen schönen Lenz. Habe ich nicht gesagt, dass ihr die Baumstümpfe ausgraben sollt? Bis morgen habt ihr den Boden umgegraben, um die Saat auszustreuen.«
    Ängstliches, zustimmendes Murmeln folgte. Der Teufel in Person seufzte, als trüge er die Last der ganzen Welt auf seinen breiten Schultern.
    »Ihr werdet die ganze Nacht schuften«, drohte er gelassen. »Und keinen Schluck Wasser bekommen, bis ihr fertig mit der Arbeit seid.« Er drehte sich um und sah Daniel direkt an. »Du, Daniel Browne, sorgst mir dafür, dass diese Lahmärsche meine Befehle befolgen.«
    Daniel zuckte zusammen und murmelte irgendetwas, um seine Einwilligung kundzutun. Im Innern aber war er erschrocken. Warum ausgerechnet ich? Er weiß doch, wie sehr diese Männer mich hassen. Möglich, dass er es als Zeichen seiner Gunst ansieht, aber ohne sie hätte ich es viel leichter, unter diesen brutalen Typen zu überleben.
    Als der Teufel in Person weiterritt, merkte Daniel, dass die Männer ihn anstarrten. Manche hatten längst jede Spur von Menschlichkeit abgelegt. Und da sie notgedrungen ihren Hass auf den Aufseher verbergen mussten, richteten sie ihre Wut nun ganz offen gegen ihn.
    Ohne sie eines Blickes zu würdigen, drängte sich Daniel an ihnen vorbei zu seinem Arbeitsplatz. Verzweifelt betrachtete er seine Künstlerhände. Sie waren rau und voller Schwielen, die Fingernägel waren abgebrochen und mit blutigen Rändern versehen, die Handflächen geschwollen, nachdem er wochenlang mit einer so gut wie unbrauchbaren Hacke die gewaltigen Wurzeln der Bäume ausgegraben hatte. Jetzt schwang er seine Axt in einem Rhythmus, der ihn von dem Schmerz im Rücken ablenkte, während frische
Rinnsale von Schweiß an Brust und Beinen hinabströmten und die alten Schweißflecken auf seiner Hose verdunkelten.
    Als er hörte, wie jemand unruhig seinen Namen flüsterte, sah Daniel gereizt auf und erblickte Will Martens’ freches

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