Die Blüte des Eukalyptus
»Die Kolonie ist gut für Kinder. Ma hat in den verdammten Londoner Wintern drei an den Pseudokrupp verloren!«
»Ich weiß. Es ist – es muss schrecklich sein, ein Kind zu verlieren«, berichtigte sich Keziah, als ihr einfiel, dass Saranna unverheiratet gewesen war. Ihr Totemvogel quittierte den Versprecher mit kreischendem Gelächter.
Polly erklärte ihr, dass es ein Lachender Hans war, der von den Eingeborenen Kookaburra genannt wurde.
Keziah war beeindruckt, als der plumpe Vogel die Flügel spannte und sich auf eine Schlange stürzte. Anschließend
warf er seine Beute mehrmals von einer Pinie herab, um sie zu töten.
»Er zumindest kommt hier bestens zurecht«, sagte Keziah, dann fragte sie gespielt beiläufig: »Wie viele Kinder hat Mr. Hobson eigentlich?«
»Zwei kleine Jungs. Die Missus ist letztes Jahr an Scharlach gestorben.«
»Und wer sind die Nachbarn?«, wollte Keziah als Nächstes wissen.
»Sein Partner, Joseph Bloom, er ist Jude. Ein alter Mann, Junggeselle. Hat gerade eine Strafgefangene als Haushälterin zugewiesen bekommen. Bestimmt hält sie ihm nicht nur das Essen warm, sondern auch das Bett.« Polly errötete. »Nichts für ungut, Miss. Die Welt hier unten ist nun einmal so.«
»Keine Sorge«, beruhigte sie Keziah.
»Oje! Fast hätte ich’s vergessen. Mr. Hobson will Sie sehen, wenn Sie so weit sind.« Damit lief Polly zur Tür hinaus.
Keziah steckte sich das Haar hoch und sah in den fleckigen alten Spiegel. »So, Saranna Plews, jetzt denk dir eine gute Geschichte aus.«
Sie klopfte sich auf den Bauch. »Der wahre Mistkerl ist dein Vater, nicht du. Ich lasse dich nicht im Stich!«
Sie zog Sarannas beste Kleider an, obwohl sie das enge Jackett nicht ganz zuknöpfen konnte, und betrachtete sich im Spiegel. Seltsam, wie gaujo -Kleider einen veränderten. Jetzt hätte man sie ohne Weiteres für eine Italienerin oder Spanierin halten können.
Sie rückte die Haube, die sie von Saranna geerbt hatte, etwas schief, damit sie nicht ganz so bieder aussah. Sie würde den Weg akzeptieren, den das Schicksal ihr vorgegeben hatte, und sich die Stelle als Gouvernante der Hobson-Kinder erschleichen.
Mi-duvel! Ich habe mich doch am Arm verletzt! Hastig lief sie in die Hütte zurück, um sich die Schlinge umzulegen.
In George Hobsons Wohnzimmer vereinte Keziah die Klugheit der Roma mit Sarannas gesetzten Umgangsformen. Sie
musste unbedingt die Zustimmung dieses Mannes gewinnen, der Saranna auf Empfehlung eines Geistlichen in Sydney Town angestellt hatte, ohne sie je zuvor gesehen zu haben.
Bestürzt erfuhr sie dann, dass sie es mit drei Arbeitgebern zu tun hätte. George Hobson eröffnete ihr, dass sein Partner, Joseph Bloom, sich bald zu ihnen gesellen würde. Der dritte im Bunde war ihr Nachbar Gilbert Evans, der größte Landbesitzer in Ironbark, der, wie Hobson erklärte, gerade seine Grenzzäune im Meilen entfernten Bolthole Valley inspizierte.
Polly brachte ein Tablett mit Tee. Als Keziah den Duft der Scones roch, die Brombeermarmelade und den Sauerrahm sah, lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Sie musste sich daran erinnern, dass sie nun eine junge Frau der Mittelschicht war, die niemals den Anschein erwecken durfte, hungrig zu sein, und dass sie den kleinen Finger krümmen musste, so wie Saranna, wenn sie eine Teetasse hielt.
Das rituelle Einschenken des Tees gab ihr Gelegenheit, ihren Arbeitgeber unter die Lupe zu nehmen.
George Hobson wirkte ganz anders als in der Nacht zuvor, da sie ihn im Nachthemd gesehen hatte. Er war ein großer Mann mit Bart, dessen breite Brust an die eines Kookaburra erinnerte. Darüber spannten sich ein englisches Winterjackett und eine Weste aus Tweed, die er mit Stolz trug, obgleich es nicht zu der Jahreszeit passte. Polly hatte gesagt, dass er anständig war, also beschloss sie, seine Wichtigtuerei nicht ernst zu nehmen.
»Wir drei sind fest entschlossen, unseren Kindern eine anständige Ausbildung zukommen zu lassen. Meine Söhne, Georgie und Donald, sind fünf und sechs. Gilbert Evans’ Junge sieben. Wir wollen eine kleine Schule für sie bauen.«
Keziah lächelte erleichtert. Für drei kleine Jungen reicht es, wenn ich ihnen das Alphabet und ein paar Lieder beibringe und ihnen Geschichten erzähle – das kann ich schaffen!
Sie nutzte die Gabe, die ihr mit den Jahren in Fleisch und Blut übergegangen war, wenn sie anderen aus der Hand las, und deutete
die unausgesprochenen Botschaften hinter Hobsons Tonfall und Gesten. Er war ein kaum gebildeter
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