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Die Blüte des Eukalyptus

Die Blüte des Eukalyptus

Titel: Die Blüte des Eukalyptus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Nicholls
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brutal Will behandelt wurde. Sein Vater hatte als junger Mann unter Gouverneur Macquarie eine zweite Chance erhalten, aber damals waren die Verhältnisse viel menschlicher gewesen.
    Dieses System ist wie ein Lotteriespiel. Und die verantwortlichen Kerle in Whitehall sollten selbst mal deportiert werden, damit sie eine Vorstellung bekommen, wie es hier zugeht.

NEUNZEHN
    K eziah war selig, als sie den Spiegel an der Wand ihrer Lehrerhütte befestigte. Ein paar strafgefangene Schreiner hatten das Dach fertig gestellt und die Fensterscheiben in den beiden Räumen eingesetzt, der Kamin war weiß getüncht. Sie schob das große Bett mit der gestreiften Strohmatratze in eine andere Ecke und schrubbte den Holztisch, die Stühle und das Regal mit Essig ab.
    Heute war ein Wendepunkt – sie würde ihr erstes eigenes Haus beziehen, das nicht von einem Pferd gezogen wurde. Sie hätte einen vardo vorgezogen, doch diese Hütte war wie ein neues Spielzeug.
    Während sie wartete, dass sie das Brot aus dem Ofen nehmen konnte, hängte sie die Töpfe und Pfannen auf, die sie dem fahrenden Händler Sunny Ah Wei abgekauft hatte. Dann nagelte sie den Kalender an die Wand und grinste über die Bilder von Kindern, die um einen Schneemann tanzend das englische Weihnachtsfest feierten. Was für ein Gegensatz zu ihrem ersten Weihnachten in Australien! Weder Schnee, Stechpalmen noch Misteln, sondern ein Tag in sengender Hitze, an dem man sich den Bauch mit traditionellen englischen Hackfleischpasteten, Truthahn und Plumpudding vollstopfte und um den Esstisch von George Hobsons Familie versammelt Weihnachtslieder sang.
    Obwohl für sie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wie die drei Stränge eines Zopfes miteinander verflochten waren, belegte der Kalender, dass kaum zwei Monate vergangen waren, seit sie als die Lehrerin Saranna Plews nach Ironbark gekommen war. Keziah hatte Mühe, den Übergang zu diesem radikal anderen Leben
zu begreifen. Hier in Ironbark schien die Zeit lauter willkürliche Sprünge und Sätze zu machen.
    Heute erschienen ihr die Probleme besonders groß. Jeden Tag hüllte sie sich in Schals, um ihren immer dicker werdenden Bauch zu verstecken. Sie wagte es nicht, sich medizinischen Rat von dem schottischen Arzt Dr. Leslie Ross zu holen, der auf der Haunted Farm wohnte und dessen Einspänner man regelmäßig in Ironbark sah. Und was wäre mit der Schule? George Hobson hatte die Erwartung geäußert, dass sie das ganze Jahr über geöffnet blieb – mit Ausnahme von zwei Wochen an Weihnachten. Was sollte sie im März machen, wenn die Wehen einsetzten? Wie konnte Miss Plews in der Schule unterrichten und gleichzeitig heimlich ihr Baby zur Welt bringen? Und was würde das Jahr 1838 sonst noch für sie bereithalten?
    Obwohl sie sich nach Gem sehnte, war ein Treffen mit ihrem hitzköpfigen Mann in diesem fortgeschrittenen Zustand der Schwangerschaft undenkbar. Sie konnte ihn nur überzeugen, dass er ihre erste und einzige Liebe war, wenn sie das Kind ausgetragen hatte.
    Bei dem Duft nach frischem Brot lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Gab es denn nicht eine Stunde am Tag, an der das ungeborene Kind sie nicht so heißhungrig machte? Sie legte eine rote Decke auf den Tisch und nahm das gekochte Lamm aus dem Fleischhimmel, der in der Brise vor dem offenen Fenster hing. Das Tuch aus Sackleinen, das darüber lag, war mittlerweile trocken, deshalb tränkte sie es mit Wasser und legte es erneut darüber, um den Inhalt frisch zu halten. Im gleichen Moment begann der gusseiserne Kessel fröhlich zu pfeifen.
    Als Keziah sich schließlich zu Tisch setzte, um ihre erste Mahlzeit in ihrem neuen Zuhause zu genießen, hätte sie beinahe vergessen, Del für ihre kleine Zuflucht zu danken. Hilf mir, mich so zu verhalten wie Saranna – wie eine Dame. Zügle die Roma in mir .
    Durch das Fenster sah sie, dass man ihr wie verabredet George
Hobsons Einspänner gebracht hatte, damit sie nach Bolthole Valley fahren konnte. Es hieß, der Besitzer des dortigen Krämerladens, Matthew Feagan, sei der inoffizielle »Stadtausrufer«. Keziah hoffte, nicht nur Neuigkeiten über den Buschräuber zu erfahren, der als Gypsy bekannt war, sondern auch über Jake Andersens Zustand und vielleicht, wo Saranna Plews unter dem Namen Keziah Smith beerdigt worden war.

    Auf der Strecke nach Bolthole Valley warf Keziah einen Blick auf den kleinen Strauß aus Wildblumen, den sie gepflückt hatte. Wie eigenartig das Leben manchmal war. Das Schicksal hatte gewollt, dass

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