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Die Blueten der Freiheit

Die Blueten der Freiheit

Titel: Die Blueten der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Anthony
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wieder für ihn arbeiten würde?
    Meine Hände begannen zu zittern, als ich daran dachte. Daran, wie schlimm es sich angefühlt hatte, als ich zum ersten Mal einen Sarg ausgegraben hatte, den Pater Jacqmotte am vorangegangenen Morgen begraben hatte, bloß um ihn zu öffnen und die Spitze darin zu verstecken.
    Zumindest hatte De Grote den Körper nicht angerührt. Manchmal befahl er, den Oberkörper der Leiche aufzuschneiden, damit die zusammengerollte Spitze darin versteckt werden konnte. Doch beim ersten Mal hatte er bloß die Hand des Toten hochgehoben und die Spitze in seinen Mantel gesteckt.
    Es war eine furchtbare Nacht gewesen.
    Am nächsten Morgen hatte mich das Mädchen, das den Hausputz erledigte, nicht einmal, sondern gleich zweimal dabei ertappt, wie ich einfach dagesessen und ins Feuer gestarrt hatte. Und als ich mich schließlich auf den Weg zum Markt gemacht hatte, hatte ich bemerkt, dass ich anstatt meines Korbes meinen Besen bei mir hatte. Und ich umklammerte ihn mit denselben Fingern, die dabei geholfen hatten, den Sarg auszugraben.
    Ich hatte mich umgedreht und den Besen zurück in die Küche gebracht. Danach hatte ich mich im Keller auf einen Stuhl gesetzt und meine Finger in dem dämmrigen Licht betrachtet.
    Sie geöffnet.
    Und wieder geschlossen.
    Ich hatte versucht, nicht daran zu denken, wie es sich angefühlt hatte, als sie den Mantel des Toten berührt hatten. Das Gefühl fraß mich auf. Vergiftete mich. Bis ich schließlich dort unten im Keller auf die Knie fiel und mich übergab. Immer und immer und immer wieder. Ich übergab mich, bis ich nur noch Galle schmeckte. Und dann übergab ich mich noch einmal, bis nichts mehr übrig war als ein schlechtes Gewissen und eine sündhafte Seele.
    Hätte ich bloß die Beichte ablegen können.
    Doch das hätte ich niemals getan. Wie konnte ich beichten, dass ich … dass ich … das getan hatte, was ich eben getan hatte? Wie konnte ich es in Worte fassen? Was hätte ich sagen können, um den Priester davon zu überzeugen, mir Gnade zu schenken?
    An diesem Nachmittag ließ ich Pater Jacqmottes Abendmahl von jemand anderem zubereiten. Er hätte nichts aus meiner Hand essen wollen. Nicht, wenn er davon gewusst hätte. Ich verdiente Gottes Gnade nicht. Nicht nach dem, was ich getan hatte.
    Domine, non sum dignus, ut intres sub tectum meum. Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach. Vergebung war ein zu großes Geschenk für eine Seele wie die meine.
    Oh! Ich wollte es nicht wieder tun. Ich wollte nicht wieder zu De Grote gehen.
    Außerdem hatte er inzwischen wohl jemand anderen gefunden, um das zu tun, was ich getan hatte. Es musste Dutzende Menschen wie mich in dieser Stadt geben. Ich konnte mir vorstellen, dass es eine wie mich in jeder Kirche gab. Es musste so sein. Spitze war einfach zu wichtig.
    Ich wollte es nicht tun. Nicht, nachdem ich mir selbst versprochen hatte, es nicht wieder zu tun.
    Doch De Grote war vermutlich meine einzige Hoffnung. So blind, wie Katharina war, konnte sie es mit den vor dem Klostertor wartenden Männern nicht mehr aufnehmen. Sie würden sie abfangen und ins Bett zerren, und was konnte ich dann noch tun?

    Am nächsten Tag drehte ich meine Runden und brachte den Alten Suppe, den Armen Kleider und den Gebrechlichen ihre Medizin. Ich hielt die Augen offen, während ich unterwegs war. Wenn ich es wirklich tun musste, wenn ich De Grote einen Besuch abstatten musste, dann wäre es gut, zu wissen, wo in nächster Zeit ein Sarg gebraucht werden würde. Wenn ich beschloss, es zu tun – wem konnte ich zutrauen, bald zu sterben?
    Da war zum Beispiel Annen, die Frau des Webers. Sie würde bald ein Kind zur Welt bringen, und die letzten beiden waren gestorben, bevor sie noch einen Atemzug getan hatten.
    »Annen Moens!«
    »Heilwich.« Sie legte sich eine Hand in den Rücken und streckte sich auf eine Art, die mich an einen jungen Baum erinnerte. »Wie geht es Pater Jacqmotte?«
    »So wie immer. Aber wie geht es dir?«
    Sie atmete tief ein, blies die Wangen auf und ließ die Luft schnaubend entweichen. »Das Kinderkriegen macht mich noch krank.«
    »Aber es ist doch bald so weit?«
    Sie lächelte. Oder vielleicht zog sie auch eine Grimasse. »Jeden Tag.«
    »Sorg dafür, dass mich jemand holen kommt.« Bloß für den Fall. Bloß für den Fall, dass ich mich entschied, wieder zu De Grote zu gehen.
    Sie nickte.
    Ich machte mich auf den Weg zu den Lievens. Sie hatten eine Tochter, die sehr krank war, und durch das

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