Die Blueten der Freiheit
dieses Mannes spielen zu müssen und seinen Launen ausgeliefert zu sein. »Und was passiert, wenn ich mich weigere?«
»Dann werde ich dem König den Kopf deines Vaters auf einem Tablett servieren.«
Gott, steh mir bei! Meine Zähne klapperten vor Angst, als ich durch den Flur auf die Gemächer des Marquis zuging. Ich presste meine Hände vor meiner Brust zusammen, damit sie nicht so stark zitterten. Hatte ich denn wirklich keine andere Wahl?
Ich klopfte, und der Diener des Marquis öffnete die Tür. Er verbeugte sich und kündigte seinem Herrn meine Anwesenheit an.
Der Vater des Grafen warf mir einen besorgten Blick zu. »Mein liebes Mädchen! Ihr seid so blass. Was ist los mit Euch?« Er erhob sich von seinem Stuhl und wandte sich an seinen Diener. »Bring ihr etwas Branntwein. Schnell!« Dann kam er auf mich zu, nahm meine Hand und zog mich sanft in seine Gemächer. Das Zimmer war größer und wärmer als mein eigenes. Im Kamin brannte ein Feuer und tauchte das Zimmer in ein sanftes goldenes Licht. Auf dem Kaminsims standen einige glitzernde, juwelenbesetzte Schmuckstücke und Servierteller aus gemeißeltem Stein. Ein wunderschöner Krug aus Lapislazuli mit einem silbernen Handgriff, der Neptun darstellte. Und eine glänzende, ausgekehlte Schale aus Jaspis, auf deren Deckel das goldene königliche Wappen prangte. In der Mitte des Kamins, an bedeutendster Stelle, lag ein mit Juwelen besetzter Dolch.
Ich vergaß beinahe meine Angst und den Grund, warum ich hierhergekommen war, als ich mich auf einen Becher aus Bergkristall zubewegte. Der Becher hatte einen langen, dünnen Stiel aus Gold, der Bergkristall selbst erschien an manchen Stellen durchsichtig und an anderen trüb. Der obere Rand des Bechers war goldverziert. Er erinnerte mich an die Nebel von Souboscq.
»Er ist wunderschön, nicht wahr?« Der Marquis nahm den Becher vom Kaminsims und reichte ihn mir.
»Oh. Non. « Ich verschränkte die Hände hinter meinem Rücken. »Das darf ich nicht.«
»Ihr dürft sehr wohl. Ihr müsst sogar. Solche Handwerkskunst ist dazu da, bewundert zu werden.«
Ich schüttelte den Kopf.
» Tenez. Nehmt ihn. Ihr werdet ihn schon nicht zerbrechen.«
Wie konnte er das wissen? Meine Finger sehnten sich danach, den Becher zu berühren und über den trüben Kristall zu streichen. Aber wie konnte er mir vertrauen, wenn ich mir nicht einmal selbst vertraute?
Der Marquis legte sanft eine Hand auf meinen Arm und zog meine Hand hinter meinem Rücken hervor. Dann drückte er mir den Becher in die Hand und schloss meine Finger um den Stiel.
»Na bitte. Ein wenig Schönheit wärmt die Seele.«
»Ich bin es gewohnt, Schönheit von der Ferne aus zu bewundern.«
»Schönheit ist dazu da, um mit ihr zu leben, nicht bloß, um sie zu bewundern.«
Wie konnte ein Mann, der solche Dinge schätzte, einen Sohn hervorgebracht haben, der ihnen so gleichgültig gegenüberstand?
Der Marquis stellte den Becher wieder auf den Sims und zog einen Stuhl von seinem Tisch hinüber zum Feuer. »Kommt her. Setzt Euch und wärmt Euch auf.«
»Ich wollte nicht …« Ich hätte diesen Satz auf hundert verschiedene Arten beenden können. Ich wollte nicht stören. Ich wollte die Spitze nicht ruinieren. Oder meinen Vater. Und dennoch hatte ich all diese Dinge getan … Und nun blieb mir noch eines zu tun übrig. Alles, was ich wollte, war, diejenigen, die ich liebte, von dem Fluch meiner Anwesenheit zu befreien. Ich wollte ihnen nicht noch einen Grund geben, mich zu hassen.
»Bitte macht Euch keine Gedanken. Erzählt mir einfach, warum Ihr gekommen seid.«
Er sah mich so freundlich und auffordernd an, so voller ehrlicher Besorgnis, dass ich mich beinahe abgewandt hätte und aus dem Zimmer gelaufen wäre. Doch ich wagte es nicht. Ich hatte meinen Vater bereits seinen ganzen Besitz gekostet. Das Einzige, was ich jetzt noch für ihn tun konnte, war, den Grafen davon abzuhalten, Papas Geheimnis zu verraten.
»Ihr scheint beunruhigt zu sein.«
Ich hätte vor Erleichterung beinahe zu weinen begonnen. Zumindest gab es jemanden, der die Dinge so sah, wie sie wirklich waren. Jemanden, der nicht so tat, als wäre ich jemand anderes. In Souboscq hatten wir nie über jene Nacht gesprochen, in der sich alles verändert hatte. Papa und Alexandre hatten sich so große Mühe gegeben, es nicht zu erwähnen, dass sie genauso gut jeden Tag darüber hätten sprechen können.
»Geht es um … Julien?«
Ich konnte ihm keine Antwort geben.
»Hat er etwas getan,
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