Die Blueten der Freiheit
mich überhaupt gab, wenn er mich nicht sah.
Ich wandte mich ab und trottete auf den Wald zu. Ich hielt mich tief in den Schatten verborgen, wo es die Sonne nicht mehr schaffte, die kühle Luft zu erwärmen. Ich zitterte. Ich konnte die beiden Männer nicht mehr sehen, aber ich konnte sie hören.
Der Boden unter meinen Pfoten wurde weicher.
Farne streiften mich, und ich kletterte über heruntergefallene Äste. Ich hielt inne, um ein Eichhörnchen zu beobachten. Es schimpfte mich aus, vergrub seine Nuss und hetzte in den Wald davon. Ich bewegte mich am Rande der Schatten entlang und fraß ein paar von den Gräsern. Sie kamen mir bald darauf wieder hoch, doch zumindest hatten sie meine Bauchschmerzen gelindert. Ich lief den Männern voraus und legte mich am Rande der Schatten in die Sonne, um mich aufzuwärmen, während ich auf sie wartete. Ich seufzte genussvoll und rollte mich auf den Rücken, um den Bauch in die Sonne zu strecken.
Der Mann mit dem glänzenden Hut hörte sich nicht so fürchterlich an, wenn ich ihn nicht sehen konnte. Seine Stimme klang nicht gemein oder bösartig.
Nicht wie die Stimme des bösen Herrn. Oder wie die des Mannes, den sie De Grote genannt hatten.
Ich schnaubte, rollte mich zur Seite und stemmte mich hoch. Ich leckte die Wunden, die mir mein böser Herr mit dem Rasiermesser zugefügt hatte. Mein Herr und der Mann mit dem Hut waren bereits an mir vorbeigekommen, also musste ich laufen, um sie wieder einzuholen. Ich lief an ihnen vorbei und legte mich wieder hin, um auf sie zu warten.
Hätte ich bloß nicht solche Angst gehabt.
Hätte ich in jener schrecklichen Nacht nicht am Rande des Feldes innegehalten, hätte ich meinen guten Herrn vielleicht retten können. Ich hätte ihn vor den Männern mit den glänzenden Hüten warnen können. Ich hätte sie anspringen können. Ich hätte sie zu Boden werfen können. Wenn ich nicht solche Angst gehabt hätte, hätte ich ihn beschützen können.
Ich würde nicht zulassen, dass jemand meinem neuen Herrn etwas antat. Ich würde ihn nicht enttäuschen.
Eines Tages … eines Tages würde ich diesen Männern mit den glänzenden Hüten zeigen, was ich von ihnen hielt. Ich würde sie dafür bestrafen, dass sie mich geschlagen haben. Dass sie mich haben hungern lassen. Dass sie mich von meinem guten Herrn fortgeholt haben.
Ich kletterte auf einen Hügel, von dem aus ich die Straße sehen konnte.
Als mich der Mann mit dem Hut entdeckte, zog ich mich wieder in den Wald zurück.
Irgendwann würde ich all diese Dinge tun … aber nicht heute.
Ich lief voran und wartete, dann lief ich wieder voran … So lange, bis sich die Sonne schlafen legte. Aber während ich auf meinen Herrn wartete, hielt ich mich immer näher und näher an der Straße auf. Es kümmerte mich immer weniger und weniger, was der Mann mit dem glänzenden Hut mit mir machen würde.
Dort draußen im Wald gab es etwas, das uns verfolgte. Ich hörte das Rascheln und Knacken, wenn es sich bewegte. Ich unterdrückte ein Winseln, denn ich wollte mich nicht verraten. Aber ich lief schneller und setzte mich auf die Hinterbeine, während ich wartete. Ich streckte ein Ohr in die Höhe und lauschte. Und ich begann zu zittern, als die dunkle Nacht um mich herum hereinbrach.
Kapitel 26
Lisette Lefort
Château Eronville
Provinz Orléanais, Frankreich
I n Souboscq war ich zwar unglücklich gewesen, doch ich hatte Menschen um mich gehabt, die ich liebte. Hier blieb mir dieser Trost verwehrt. Der gesamte Hausstand wartete auf die Geburt des Kindes. Doch das Warten schien sich endlos hinzuziehen. Die Marquise interessierte sich für nichts mehr außer für ihren Zustand. Die Heiterkeit hatte sie verlassen, und nun war sie nur noch ungeduldig und gereizt. Der Marquis versteckte sich in seinen Gemächern. Remy stellte mir unermüdlich nach, und der Graf hörte nicht auf, mich zu beobachten.
Es blieben mir bloß zwei Dinge, auf die ich hoffen konnte: dass der erwartete Junge sich auf wundersame Weise als Mädchen herausstellen würde und dass der Graf von Montreau starb. Der erste Wunsch war neu, der zweite brannte in mir, seit ich den Grafen vor zehn Jahren zum ersten Mal getroffen hatte.
Schließlich verbannte der Arzt der Familie die Marquise in ihre Gemächer. Ohne den Schutz ihrer Anwesenheit traute ich mich nicht, im Garten spazieren zu gehen. Weder am Tag noch in der Nacht. Als ich eines Abends nach dem Abendessen die Treppe emporstieg, zog mich der Graf in den
Weitere Kostenlose Bücher