Die Blütenfrau
von einem Nachbarn angezeigt, weil er dessen Hühner bei lebendigem Leib gerupft hatte. Zwei Jahre später folgte eine Klage vom Tierschutzverein wegen Misshandlung des Hofhundes – die entsprechende Anzeige blieb jedoch ohne Folgen, da die Adoptiveltern keine Aussage gegen ihren Jungen machten. Im Protokoll ist vermerkt, dass H.T. einige Monate eine jugendpsychologische
Therapie gemacht hat, da man ihn für suizidgefährdet hielt. Seitdem gibt es keine Vermerke mehr in den Akten.
«Wollen wir deinen Psychologen mal interviewen, was er zu diesen Erkenntnissen sagt?», schlug Axel vor.
«Dr. Erb sollte nichts von alledem erfahren.»
«Aber er hat uns doch seine Mithilfe angeboten. Er scheint mir ein hervorragender Experte zu sein. Wusstest du, dass er auch im Webcam-Skandal als Experte herangezogen wurde? Er hat unseren amtierenden Ministerpräsidenten begutachtet …»
«Das mag sein. Aber ich traue ihm nicht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er hier ungefragt herumschnüffelt, deswegen hab ich ihm bis auf weiteres Pal an die Seite gestellt.»
«Und was willst du dann noch von ihm, wenn du dir so sicher bist, dass er
herumschnüffelt
?»
«Sein Job ist es, Gernot Huckler zu entlasten, dafür ist er schließlich auch hierhergereist. Den Rest soll er uns überlassen.»
«Aber Wencke …» Axel stoppte und schien kurz nachzudenken, dann ließ er den Satz unvollendet.
Wencke griff zum Telefon und ließ sich mit den Kollegen auf Spiekeroog verbinden. Die übliche Warteschleifenmusik begann zu spielen.
«Es tut mir übrigens leid, dass ich dir die Sache mit Kerstin und mir nicht unter anderen Umständen erzählt habe. Ich hatte irgendwie nicht den Mumm. Warum weiß ich auch nicht.»
Was für ein saublöder Moment für eine derartige Unterhaltung, dachte Wencke.
Es knackte im Hörer, dann begann Mozarts kleine Nachtmusik wieder von vorn.
«Kommst du denn zur Hochzeit?», fragte Axel vorsichtig.
«Weiß der Henker.» Wencke war jetzt wirklich nicht danach, über so etwas nachzudenken. In der Leitung knackte es erneut.
«Polizeidienststelle Spiekeroog, Brockelsen am Apparat.» «Wencke Tydmers hier, Kripo Aurich. Wir bearbeiten den Mordfall Allegra Sendhorst. Haben Sie davon gehört?»
«Tut mir leid, Frau Kollegin, seit gestern Nacht steht mir der Kopf woanders. Wir haben einen Vermisstenfall auf der Insel.»
«Ein Mädchen?»
«Ja, Marina Kobitzki, zwölf Jahre alt, Schülerin im Hermann-Lietz-Internat. War gestern angeblich im Watt spazieren und ist nicht nach Hause gekommen. Die ganze Insel ist seit heute Mittag auf der Suche.»
Wencke begriff sofort. «Es könnte da einen Zusammenhang geben. Hätten Sie etwas dagegen, wenn wir zu Ihnen kämen?»
«Sie sind von der Kripo Aurich? Aber Sie wissen schon, dass Wittmund für diese Insel zuständig ist.»
«Wir kommen nur zu zweit. Mein Kollege Axel Sanders und ich.»
Axel schaute sie an und deutete mit fragendem Blick von ihr zu ihm und zurück. Seine Lippen formten ein erstauntes «Du und ich?»
«Tja, wenn es so ist, werte Kollegin: Um 16 Uhr geht das nächste Schiff. Oder soll ich die Wasserschutzpolizei für den Transport bemühen?»
«Keinen Aufwand, bitte. Sie haben wahrscheinlich genug zu tun.»
Sie verabredeten sich am Spiekerooger Hafen, um Viertel vor fünf, dann legte Wencke auf. In kurzen Sätzen klärte sie Axel über den neuen Sachverhalt auf und begann ohne Umschweife, einige Sachen zusammenzutragen.
Bloß nichts vergessen! Es blieb nicht viel Zeit, um alles zu organisieren. Früher hatte es Wencke nichts ausgemacht, so spontan umzudisponieren. Sie stopfte alles rein in den Rucksack und los.
Axel war noch immer perplex. «Aber dann werden wir ja wahrscheinlich über Nacht bleiben müssen.»
«Was dagegen?»
«Ich meine, was machst du mit Emil?»
«Britzkes Frau wird ihn sicher nehmen. Das hat sie schon mal gemacht, als ich spätabends noch wegen diesem Überfall nach Großheide musste.»
«Hat Emil schon mal allein dort übernachtet?»
«Nein, aber er ist damals bei ihr eingeschlafen, und ich hab ihn dann mitten in der Nacht wieder abgeholt. War wirklich keine Katastrophe.» Wencke verstand Axel nicht so richtig. «Ist Emil deine einzige Sorge?»
«Du weißt genau, wie sehr ich an dem Knirps hänge.»
Wencke schnaubte. «Ich glaube ja eher, du hast Schiss, dass Kerstin mit diesem Ausflug nicht einverstanden ist.»
Axel wollte etwas erwidern, das war nicht zu übersehen, aber er beließ es bei einem schweren
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