Die Blütenfrau
zwar noch nicht alle Fingerabdrücke zum Abgleichen aus dem Bekanntenkreis der Toten, aber sie arbeiteten daran. So etwas dauerte immer elend lang. Und meistens waren die Erkenntnisse, die sich aus der mühseligen Sammelei ergaben, auch eher ohne Belang. Nur manchmal entpuppte sich etwas, was sich bislang scheinbar nebensächlich in die endlose Serie der nummerierten Spuren eingereiht hatte, als entscheidender Beweis, als entlarvendes Indiz. Nur für diesen einen Treffer nahm man stundenlange Fehlschläge in Kauf. Aber das war es allemal wert. Kerstin mochte die Arbeit im Labor, mehr noch, sie ging ihr mit wahrer Leidenschaft nach.
Nur Zeitdruck hasste sie.
«Die Tydmers fragt nach der Katze», hörte sie plötzlich eine Stimme hinter sich.
Kerstin schreckte hoch. Sie hatte sich als letztes Detail am Fahrrad das Reifenprofil vorgenommen, gerade wollte sie die verschiedenen Stein- und Staubspuren und sonstige Hinterlassenschaften der Straße herauskratzen und sortieren. Vielleicht würde ihr das verraten, ob Allegra vorgestern auf direktem Wege vom Thedinga-Hof nach Hause gefahren war. Vielleicht würde sich das Ganze aber auch mal wieder als Zeitverschwendung entpuppen.
«Meine Güte, wie kann man nur so hartnäckig und ignorant zugleich sein», fluchte Kerstin fast unhörbar.
«Was haben Sie gesagt?» Es war der Praktikant, der heute Morgen hier aufgetaucht war mit einem Papier der Landespolizei in der Hand, dass er ein paar Tage zur Weiterbildung in der Abteilung mitarbeiten sollte. Manchmal entschieden die Herren in Hannover das so kurzfristig, und dann blieb nur zu hoffen, dass sie einem nicht in der schlimmsten Stresszeit einen blutigen Anfänger unterjubelten. Dieser hier hatte aber offenbar schon einige Erfahrung und stellte sich zum Glück ganz ordentlich an, auch wenn er nur die eher unwichtigen Spuren bearbeitete. Kerstin hatte sich seinen Namen gar nicht erst gemerkt und wusste nur, er kam von einer Polizeidienststelle im Harz. Also konnte er nicht wissen, was es bedeutete, wenn Wencke Tydmers sich ihr gegenüber derart aufspielte. Jeder andere in dieser Abteilung hätte sich ein süffisantes Lächeln oder Augenrollen nicht verkneifen können.
«Sagen Sie ihr, sie muss sich noch eine halbe Stunde gedulden.»
«Klingt nicht so, als würde sie das zufriedenstellen.» Der Praktikant guckte leicht überfordert.
Kerstin sprang auf, schleuderte die Handschuhe auf den Tisch und ging zum Telefon, welches im Flur an der Wand hing. «Liebe Wencke. Wenn du mit dem Sekundenzeigerim Visier darauf wartest, dass wir hier unsere Arbeit nach deinen Vorstellungen abliefern, dann bist du eindeutig unterfordert.» Zum Glück war ihr dieser Satz, der für Kerstins Verhältnisse ziemlich bissig und schlagfertig war, flüssig und glockenhell über die Lippen gekommen. Ohne eine Antwort abzuwarten, legte sie auf. Es fühlte sich an wie ein kleiner Triumph.
Der Praktikant stand in der Tür und staunte.
«Seien Sie so nett und nehmen sich schnell den Tierkadaver vor. Er ist im Kühlfach, Nummer AS247, eine überfahrene Katze.»
«So etwas machen Sie auch hier? Als mein Hund damals von einem LKW überfahren wurde, hat das die Polizei nicht die Bohne interessiert.»
«Alle diesbezüglichen Nachfragen können Sie postwendend an die Frau richten, mit der Sie gerade telefoniert haben.»
«Nee, lieber nicht. Soll mir ja auch egal sein.» Schulterzuckend ging er Richtung Kühlraum und machte sich an die Arbeit.
Kerstin ging zurück zum Fahrrad, streifte sich die Handschuhe über und griff nach einem kleinen Spatel, um sich den Vorderreifen vorzunehmen. Das Ergebnis: Torferde, genau wie unter den Schuhen. Sie stammte eindeutig vom Bauernhof, Heufasern klebten im Dreck. Viel war es nicht mehr, also musste Allegra bereits eine ganze Strecke auf dem Fahrrad zurückgelegt und dabei den Dreck auf den Norder Wegen verteilt haben. Kerstin schrieb das Ergebnis flüchtig auf den bereitgelegten Zettel. Dann suchte sie nach weiteren Indizien. An einem alten Kaugummi klebten ein paar Steinchen, wohl von dem feinen Kies, den man rings um den Schwanenteich fand. Eine Sauerei war das. Und daneben entdeckte sie ein Stück Fell und Blut … Was? Kerstin stießmit dem Werkzeug tief ins Profil. Tatsache, schwarze, kurze Haare, Hautpartikel und Blut. Nur wenig Kiessand steckte dazwischen. Das konnte doch nicht wahr sein. Ein Zufall?
«Holger, kannst du nochmal die Blutspritzer auf den Schuhen in Augenschein nehmen?», rief sie aufgeregt dem
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