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Die Blütenfrau

Die Blütenfrau

Titel: Die Blütenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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dahinter gähnte irgendwo das Watt. Von der Strandseite wehte nur wenig Meeresrauschen herüber. Spiekeroog war zwar klein und eingegrenzt, aber dennoch groß genug für zwei Männer, die ein Gespräch unter vier Augen führen wollten – oder führen mussten.
    «Ich habe nicht geplant, hierherzukommen. Aber gesternAbend fand ich mich auf einmal vor der Fähre nach Spiekeroog wieder. Vielleicht war es höhere Gewalt.»
    «An so etwas glaube ich nicht, Herr Vanmeer. Höhere Gewalt und so. Hört sich an wie das esoterische Gerede Ihrer Frau.»
    «Lassen Sie meine Frau aus dem Spiel, Hanno.»
    «Weiß sie, dass Sie hier sind? War es ihre Idee, mich hier aufzusuchen?»
    «Sie weiß von nichts. Ich bin auf eigene Faust unterwegs.»
    «Und warum spionieren Sie mir nach?» Hanno kickte eine Muschelschale fort, die auf dem Weg gelegen hatte. Er war wütend. Hanno war schon immer ein zorniger junger Mann gewesen.
    «Vielleicht spioniere ich Ihnen nach. Vielleicht versuche ich aber auch nur, Sie zu schützen.»
    «Wovor, wenn ich fragen darf?»
    «Vor sich selbst.»
    Hanno rollte die Augen. Er sah gut aus. Schlank und muskulös, mit einer perfekt geschnittenen Frisur, die er mit Gel oder Haarspray zu einem Kamm aufgestellt hatte. Seine Haut war auffallend glatt und rein, keine Aknespuren und kaum Bartwuchs. Einziger Makel waren nur diese scheußlichen Schnitte an den Armen, dachte Gernot. Er wirkte wie ein Achtzehnjähriger, dabei war er schon Mitte zwanzig. Die Mädchen im Hotel schwärmten sicher für ihn, und ab und zu nahm er wahrscheinlich auch eine mit ins Bett. Aber an einer festen Beziehung hatte er mit Sicherheit kein Interesse. Nach allem, was Gernot heute Morgen in der Zeitung gelesen hatte, war er sicher, dieser junge Mann suchte etwas anderes als zärtliches Händchenhalten.
    Hanno schaute weiter unbeirrt auf den sandigen Weg.
    «Also, raus mit der Sprache. Was wollen Sie von mir? Was ist los, Kollege?»
    «Nennen Sie mich nicht so!»
    «Aber wir sind doch so etwas wie Kollegen, oder nicht? Beide ein bisschen abgedreht. Beide spielen wir ganz gern mit kleinen Kindern   …»
    «In Norden ist ein Mädchen ermordet worden.»
    «Echt?» Hanno riss die Augen auf, blieb kurz stehen und fasste sich demonstrativ mit den Fingern an die Lippen. Es war eine Darbietung, wie sie jeder Laienschauspieler im Heimattheater gebracht hätte, wenn in der Regieanweisung
erschrocken
stand. Er beherrschte die Rolle aus dem Effeff, genau wie man ihm seine Show als galanter Kellner gern abnahm. Aber wer genau hinschaute, dem blieb nicht verborgen, dass alles ein wenig übertrieben und zu dick aufgetragen wirkte.
    «Eine Dreizehnjährige, bildhübsch.»
    «Woher wissen Sie das?»
    «Aus den Medien. Gestern Morgen, als ich aufstand, da galt sie noch als vermisst. Inzwischen hat man sie gefunden. Tot.»
    «Waren Sie es?» Hanno machte einen fast belustigten Eindruck.
    «Was soll das?»
    «Aber jetzt ist man auf der Suche nach Ihnen, oder nicht?»
    «Davon gehe ich aus.»
    «Einmal Kinderschänder, immer Kinderschänder   …»
    Gernot schwieg und schaute Hanno von der Seite an. Die beiden Männer hatten eine seltsame, undefinierbare Beziehung zueinander. Es war beileibe keine Freundschaft, dafür war der Grund ihrer Gemeinsamkeiten zu unerfreulich. Auch nicht Fürsorge, denn da ließ das gegenseitige Vertrauen zu wünschen übrig. Aber hatte Hanno ihn nicht eben ganz lapidar Kollege genannt? Seltsamerweise traf das die Sachewohl am ehesten. Trotzdem wollte Gernot nicht so genannt werden. Er war da jetzt raus. Zumindest hoffte er es.
    «Und Sie glauben also, ich hätte etwas damit zu tun?» Warum wurde Hanno nicht wütend und wehrte sich gegen dieses Gespräch?, dachte Gernot. Stattdessen setzte er sein süffisantes Lächeln auf. Es konnte beides bedeuten: Entweder hatte er tatsächlich nichts damit zu tun und interessierte sich auch kein bisschen dafür. Oder er, na ja, er hatte eben doch   …
    Der Gedanke verursachte ihm Übelkeit.
    «Sie sind immerhin diese Woche in Norden gewesen. Ich habe Sie in der Praxis gesehen.»
    «Ja, ich hatte frei, das letzte Mal vor der Hochsaison auf Spiekeroog. Und da habe ich meinen Eltern mal wieder einen Besuch abgestattet und mir bei Esther neue Tropfen geholt. Sie ist dicker geworden, finden Sie nicht? Wie kann man nur mit einer solchen Qualle ins Bett gehen?»
    Gernot ignorierte die Unverschämtheit. «Waren Sie da auch bei
ihr

    «Bei unserer gemeinsamen Bekannten, meinen Sie? Höre ich da ein

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