Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Blütenfrau

Die Blütenfrau

Titel: Die Blütenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
Vom Netzwerk:
Körperkontakt erfahren, es sei denn durch Schläge. Dadurch hätte ich gelernt, dass Gewalt die einfachste Methode ist, um wahrgenommen zu werden.»
    Griet war zwar nie geschlagen worden. Weder vom Vaternoch von der Mutter. Doch auch sie fühlte sich missachtet. Damals bei der Scheidung hatten sich erst beide um sie geprügelt bis zum Wahnsinn. Aber als das Gericht dann entschied, dass Griet bei ihrer Mutter bleiben sollte, ließ das Interesse bei beiden schlagartig nach. Der Vater zog sich völlig zurück, weil er die ständigen Abschiede einfach nicht verkraften konnte – aber das war alles Blabla, fand Griet   –, und die Mutter widmete sich nach dem ganzen Theater, welches sie für ihre Tochter hatte aushalten müssen, erst einmal sich selbst. Griet hatte allein dagestanden. Als wäre sie unsichtbar geworden.
    Seit fünf Monaten schlitzte sie schon an sich herum, doch ihre Mutter schaute nie so genau hin, dass sie es bemerkt hätte. Nur die abgekauten Fingernägel hatte sie bemerkt («Mein Kind, da hab ich was, nimm Mimulus!»). Auch für Griets Schlaflosigkeit hatte sie eine einfache Erklärung («Jaja, da steckt Schulangst dahinter, versuchen wir es mit Larch!»).
    Ja, Mum hat für alle Probleme eine blöde Blüte parat, dachte Griet. Ihre einzige Waffe ist dieses alberne Pendel, und sie meint, damit sei alles getan. Auch ihren Patienten gegenüber hat sie immer viel Verständnis. Sie versteht Gott und die Welt und wahrscheinlich noch viel mehr. Aber sie hat nie gemerkt, was in
mir
vorgeht. Es hat sie nie interessiert. Ich hasse sie dafür.
    Auch Gernots Einzug hatte nicht viel daran geändert. Bis zu dem Tag vor zwei Wochen, an dem ihr neuer, immer so zurückhaltender Stiefvater sie auf dem alten Friedhof mit Samael beobachtet hatte. Rein zufällig, wie er behauptete.
    «Was will der Typ von dir? Pass auf, Griet, der ist gefährlich.» Gernot hielt ihr eine ellenlange Predigt über Männer, die auf kleine Kinder abfuhren, und dass er auch dazu gehöre, aber nun verstanden habe, dass es total falsch sei. Und so weiter und so weiter   …
    Das wisse sie doch alles schon längst, hatte Griet gesagt.
    Gernot war außer sich gewesen. Er habe im Knast solche Typen zur Genüge kennengelernt. In der Gruppentherapie wäre sogar einer gewesen, der sadistische Züge gehabt hätte, und der sei auch im normalen Leben nett und freundlich dahergekommen – die Harmlosigkeit in Person. Damit würde er sich das Vertrauen der Kinder erschleichen, um sie dann, sobald sich die Gelegenheit ergab, zu missbrauchen.
    Ab diesem Satz hatte Griet nicht mehr zugehört. Es lief doch immer auf dasselbe hinaus. Die Menschen rafften es einfach nicht, wenn sich zwei über alle Grenzen hinweg zueinander hingezogen fühlten. Leben, Tod, Schmerz und Hoffnung – das alles verschmolz zu einem wunderbaren Ganzen, und da spielte es keine Rolle, wie alt jemand war. So etwas verstanden die anderen nicht. Es war sinnlos, Gernot irgendetwas zu erklären. Also schwieg Griet und ging ihrem Stiefvater aus dem Weg.
    Erst hatte sie sich gewundert, warum Gernot nicht ihre Mutter ins Spiel brachte. Wenn er sich wirklich so tierisch Sorgen machte, dann wäre sie doch die richtige Ansprechpartnerin. Eigentlich. Doch dann war Griet darauf gekommen, dass es zwischen den beiden wohl auch nicht zum Besten stand. Klar, wenn ihr Stiefvater anfing, Tacheles zu reden und unangenehme Themen auf den Tisch brachte, würde ihre Mutter wahrscheinlich gleich die ganz große Verdrängungskiste aufmachen. Wie sie es immer tat. Nicht richtig zuhören, alles schönreden und dann vielleicht noch im schlauen grünen Buch eine passende Blüte suchen. Mehr würde Gernot bei ihr auch nicht erreicht haben. Aber irgendwie hatte er sich in den Kopf gesetzt, zwischen ihr und Samael alles kaputt zu machen.
    Bei einem ihrer letzten Treffen sagte Samael dann, dass er sich von Griets Stiefvater verfolgt fühle. Gernot behielte ihndermaßen im Auge, er fühle sich wie ein Verbrecher. Wahrscheinlich stecke Eifersucht dahinter, na klar, Griets Stiefvater war ja ein Kinderschänder, er war also neidisch, weil seine Stieftochter überhaupt kein Interesse an ihm zeigte. Und darum wolle er alles zerstören, was zwischen ihnen war.
    Samael hatte ihre Hand gehalten. «Ich habe noch keine Kraft, mich gegen ihn zu wehren. Jetzt noch nicht. Aber ich werde sie finden. Ich werde wiederkommen, meine wunderschöne schwarze Braut. Und ich werde dich holen und mitnehmen in eine Welt, in der wir beide

Weitere Kostenlose Bücher