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Die Blütenfrau

Die Blütenfrau

Titel: Die Blütenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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konnte nichts fühlen außer Schmerz, und der veränderte sich vorerst nicht durch diese Neuigkeit.
    «Peter, hörst du mir zu?»
    «Wer? Wer ist es?»
    «Ein Arbeitsloser, soweit ich weiß. Ach ja, nicht Gernot Huckler übrigens.»
    «Woher   …?»
    «Ein anonymer Anruf bei mir. So gegen fünf Uhr hat das Telefon geklingelt. Ich dachte, es wäre die Polizei, aber es war ein Mann, mit verstellter Stimme. Er hat mir Name und Adresse genannt und behauptet, er habe Alli am Mordabend mit diesem Typen gesehen.»
    «Warum gerade bei dir?»
    «Was meinst du damit?»
    Peter räusperte sich. Seine Stimme war keineswegs belegt, er wollte einfach ein paar Sekunden Zeit gewinnen, um alles auf die Reihe zu kriegen. Mein Gott, das ging so schnell auf einmal. Zu schnell für ihn. Ihm kam es vor, als sei bereits eine Ewigkeit vergangen, seit er damals mit dem Abendbrot auf Allegra gewartet hatte. Aber die schlimmsten Tage seines Lebens hatten gerade erst angefangen. Die ersten drei Nächte lagen schon hinter ihm – die Unendlichkeit würde noch kommen. Doch das hier ging zu schnell.
    «Ich meine   … Warum hat sich der Anrufer bei dir gemeldet und nicht bei der Polizei?»
    «Weiß ich nicht, keine Ahnung. Ist mir auch im Grunde genommen egal. Vielleicht hat er meinen Appell im Radio gehört oder gestern Abend die Sendung im Fernsehen geguckt, da habe ich auch zur Mithilfe aufgerufen. Wer laut ist, wird eben gehört. Und wer viele Fragen stellt, erhält irgendwann eine Antwort. Die Polizei war auf dem Gebiet ja eher sparsam   …»
    Peter hätte gern aufgelegt. Die Aggression und Abgebrühtheit seiner Exfrau war ihm zuwider. Diese schreckliche Hetze in den letzten Tagen, gegen die Kommissare, gegen Gernot Huckler, gegen Gott und die Welt. Es war ihm alles viel zu schrill gewesen. Seine Trauer um Allegra saß sehr vieltiefer. Er fühlte sich wie ausgehöhlt und wieder aufgefüllt mit unerträglichem Schmerz.
    «Und dann?», brachte er hervor.
    «Ich habe natürlich gleich der Kripo Bescheid gesagt. Die Kommissarin ist ja irrtümlicherweise nach Spiekeroog gefahren. Aber dieser Kollege von ihr, dieser Britzke hat innerhalb von zehn Minuten reagiert. Er hat gesagt, sie machen sich sofort auf den Weg. Stell dir vor, vielleicht schnappen schon in diesem Moment die Handschellen. Das Schwein sitzt in der Falle. Mein Gott, wie froh und erleichtert ich bin.»
    Nein, Peter war nicht froh, ganz und gar nicht. Er wusste, dass auch Utes Enthusiasmus, diese unbändige Genugtuung, nicht lange anhalten würde. Früher oder später würde seine Exfrau zusammenbrechen und dann vielleicht endlich Zeit finden, um das Kind zu trauern.
    «Ich danke dir, dass du mir Bescheid gegeben hast», sagte er wie ein wohlerzogener Junge und legte auf.
    Regungslos hockte er im Flur neben dem Telefon. Durch die geöffnete Tür konnte er auf den Wohnzimmerboden blicken. Dort lag Allegras Sommerkleid, das sie im Mai gemeinsam gekauft hatten. Alli hatte es nicht wirklich gefallen, das wusste er. Sie hatte es ihm zuliebe genommen. Rote und gelbe Blümchen auf hellblauem Stoff. Angezogen hatte sie es nie. Daneben erkannte er die abgetragene Latzhose mit den ausgefransten Nähten. Das T-Shirt , welches sie im letzten Urlaub auf Gran Canaria gebatikt hatte. Die Turnschuhe für den Sportunterricht – sie hatte neue gebraucht, weil ihre Füße so schnell gewachsen waren, dass man zugucken konnte, Größe 39.   Das Sprungseil. Der iPod mit den Ohrstöpseln. Sie hatte versucht, ihm das Downloaden aus dem Internet beizubringen. Die neuesten Hits auf die Speicherkarte runterladen. Er hatte sich dumm angestellt, Neandertaler hattesie ihn genannt, aber mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Diesem bezaubernden, einzigartigen Lächeln, welches sie mitgenommen hatte, auf Nimmerwiedersehen.
    Allegra   … Er wusste, sie hätte ihn bald verlassen. Mit vierzehn hatte sie das Recht, frei zu wählen, bei welchem Elternteil sie leben wollte, und sie hatte sich gegen ihn entschieden. Vor ein paar Tagen hatte sie es ihm gesagt, da hatten ihre Worte gebrannt und gebohrt in seinem Herz, er hatte geglaubt, niemals einen schlimmeren Schmerz erleben zu können. Aber der Schmerz, den er nun angesichts dieser ausgestopften Kleidungsstücke empfand, übertraf alles bislang Gefühlte bei weitem.
    Peter Sendhorst hätte um sie gekämpft, wenn sie noch leben würde, wenn sie ihre Sachen gepackt hätte, um zu Ute nach Oldenburg zu ziehen. Er hätte gekämpft, ja, das hätte er. Auch wenn es nicht

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