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Die Blütenfrau

Die Blütenfrau

Titel: Die Blütenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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die offizielle Version seines Schicksals: von der Frau verlassen, Kind mitgenommen, Job verloren, Hartz   IV. Dass er mal wegen Fummeleien mit kleinen Jungs vor Gericht gestanden hatte, dass diese Sache sogar der Auslöser für die ganzen anderen Geschichten gewesen war (echt, er konnte Reinhild verstehen, dass sie ihn Knall auf Fall sitzen ließ, als es rauskam), das wusste keiner in der Runde. Zum Glück.
    Sie hatten schon am Mittag gesoffen ohne Ende. Das Zeug hatte reingehauen wie Hulle. Und ehrlich, er konnte sich gar nicht mehr erinnern, wie er eigentlich nach Hause gekommen ist. Hatte er sich nicht gegen den Heimweg und für ein Schläfchen auf der Parkbank entschieden? Warum lag er also in seinem Bett? Hatte er sich vielleicht sogar noch brav die Zähne geputzt, bevor er sich hingelegt hatte? Die Haare gebürstet? Bescheuerte Vorstellung. Aber die Erinnerung war weg. Er hatte keine Ahnung, wie das gestern geendet hatte. Er würde die Jungs gleich mal danach fragen. Sobald er es schaffte, die Matratze zu verlassen.
    Es klingelte an der Tür. Erst dachte Rüdiger, das Geräusch wäre nur in seinem Kopf, Glockenschläge des Jüngsten Gerichts oder so. Aber es war tatsächlich die Tür. Jetzt klopfte es auch. Es bollerte regelrecht.
    «Wesselmann? Wir wissen, dass Sie da sind, machen Sie auf!»
    Wem soll ich aufmachen?, wollte er fragen, aber verdammt, seine Stimme war völlig belegt und unbrauchbar. Das krächzende Flüstern würde man draußen im Treppenhaus wohl kaum hören.
    «Hier ist die Polizei!», kam trotzdem eine Antwort. «Wenn Sie nicht öffnen, dann müssen wir die Tür eintreten.»
    Rüdiger versuchte, sich aufzurichten. Mit aller Kraft, aber das war leider nicht besonders viel. Erst hob er das eine Bein, dann das andere. Zeitlupe war nichts dagegen. Am Heizkörper zog er sich schließlich hoch.
    «Dies ist unsere letzte Aufforderung: Öffnen Sie die Tür!»
    Wie ein Idiot stolperte Rüdiger Wesselmann über das Chaos seines verpfuschten Lebens hinweg, die Colaflasche mit der tiefgelben Flüssigkeit ergoss sich auf den Teppich. Wahrscheinlich roch es hier wie im versifften Hauptbahnhof einer Großstadt, dachte er, aber wahrnehmen konnte ernichts. Seine Schleimhäute taugten nichts mehr. Die Nase schmerzte, als sei sie von innen ausgeschält worden. Wo kam auf einmal diese widerliche Magensäure her? Er spuckte aus, was ihm eben den wunden Hals hochgekrochen war. Dann endlich gelangte er an die Tür. Das Schlagen von der anderen Seite war noch heftiger geworden. Gleich würde das alte Holz brechen. Das Schloss war sowieso schon museumsreif und würde nicht lange standhalten.
    Rüdiger Wesselmann drehte vor lauter Aufregung den Schlüssel falsch herum, verdammt nochmal. Wenn sie ihm die Tür eintraten, dann wäre er zu guter Letzt auch noch sein Dach über dem Kopf los. Der Vermieter hatte ihn eh schon auf dem Kieker. Der schmeißt mich jetzt hochkant raus nach der Randale, da war er sich sicher. Und dann wäre sogar Hartz IV für’n Arsch.
    Doch das Gepolter war ruhiger geworden, wahrscheinlich hatten sie gemerkt, dass sich hinter der Tür etwas tat. «Wesselmann?»
    Langsam drückte er die Klinke nach unten. Irgendwie hatte er Schiss, dass sie ihn standrechtlich erschießen könnten. Warum auch immer. Die Sache mit den Jungs damals, echt, die war doch schon eine Ewigkeit her. Und wegen der Pornoseiten im Internet? Den PC hatte er sowieso schon vor Wochen verkaufen müssen. Es gab also nichts zu entdecken bei ihm. Gut, die Fotos, mein Gott, ja die Fotos   …
    Zack, plötzlich wurde die Tür aufgerissen, ein fremdes Bein schob sich in die Wohnung, zwei Männer erwischten ihn von hinten, bogen seine Arme auf den Rücken, stemmten ihn ins Hohlkreuz. So rasend schnell war in dieser Wohnung schon seit Jahren nichts mehr passiert.
    «Wo ist sie?», fragte einer mit rotem Gesicht und Uniform. Rüdiger konnte nicht antworten. Sein Hals war trocken, mehr als ein Husten kam da nicht raus.
    Ein anderer Mann, in Zivil gekleidet und wesentlich ruhiger, trat vor ihn. Rüdiger kannte ihn, es war derselbe, der ihn vor zwei Tagen wegen des Mädchenmordes nach einem Alibi gefragt hatte. «So sieht man sich wieder, Wesselmann. Diesmal suchen wir Griet Vanmeer.»
    «Wen?», brachte Rüdiger mühselig hervor.
    «Wir haben einen konkreten Hinweis erhalten, dass Sie mit einem Mädchen   …»
    «Was?»
    Er spürte Handschellen an den Gelenken. Wahrscheinlich – ganz bestimmt sogar – war das hier einfach ein völlig

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