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Die Blütenfrau

Die Blütenfrau

Titel: Die Blütenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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zu seinem Naturell gepasst hätte, er wäre zum Jugendamt gegangen, hätte gegen seine Exfrau gewettert und ihr alle möglichen Vorwürfe gemacht. Er hätte seine Tochter angefleht, er hätte sie an all die schönen Zeiten erinnert. Ja, er hätte gekämpft.
    Aber der Mörder seiner Tochter hatte ihm nicht die Gelegenheit dazu gegeben. Dieses Monster hatte ihm sein Kind, die Liebe und den Sinn seines Lebens einfach entrissen. Peter hatte keine Chance gehabt, Alli zu zeigen, wie stark er sein konnte, wenn es um seine Tochter ging. Sie war gestorben, ohne zu wissen, wie wichtig sie ihm war. Diese Tatsache würde ihn wahnsinnig machen, das wusste Peter Sendhorst.
    Er war kein Mensch, der nach außen zeigte, was in ihm los war. Vielleicht würde er öffentlich weinen können, vor anderen Menschen trauern und zeigen, wie sehr ihn der Verlust schmerzte. Aber dieses andere Gefühl würde er nicht äußern können. Diese Wut. Diese rasende, brennende, würgende Wut. Die trug er tief in sich verborgen. Doch jetzt wollte ersie herauslassen. Ja, er musste sie befreien. Die Wut hatte ihre Berechtigung. Er konnte nicht immer nur der still leidende Peter Sendhorst sein, wenn es in ihm tobte.
    Endlich schaffte er es, aufzustehen. Auf einmal wusste er, was er zu tun hatte. Er ging in den Keller, an den Schrank und holte die alte Waffe hervor. Sie stammte noch aus der Bundeswehrzeit. Gebraucht gekauft von einem Kollegen. Damals war Peter Sendhorst noch ein anderer Mensch gewesen. Noch kein Vater.
    Wer hätte gedacht, dass er die Walther PPK nochmal brauchen würde.

33.
    Gorse
(Stechginster)
    Botanischer Name: ULEX EUROPAEUS
    Blüte für Menschen, die keine Lebensperspektive mehr haben
     
    Rüdiger Wesselmann blinzelte. Scheiße, das Tageslicht schmerzte in seinen Augen. Dies war nicht sein erster Kater und würde mit Sicherheit auch nicht sein letzter sein. Aber er konnte sich nicht daran erinnern, nach einer durchzechten Nacht jemals so fix und fertig gewesen zu sein.
    Inzwischen war es sechs Uhr zwölf. Wahnsinn, so früh. Vor drei Stunden hatte er mal ernsthaft versucht, aufzustehen. Pissen musste er. Und was trinken. Gegen den Nachdurst. Aber sobald er sich aufgesetzt hatte, gab es hier in Ostfriesland ein Erdbeben der Stärke sechs auf der nach oben offenen Richterskala. Da hatte er eben in die leere Colaflasche gemacht, die neben seinem Bett lag. Das Zielen war verdammt anstrengend gewesen, danach war er gleich wieder in einen Tiefschlaf gefallen. Oder er war kurzfristig gestorben, es fühlte sich zumindest so an, als wäre er tot gewesen.
    Ob das überhaupt jemanden interessieren würde, wenn es so wäre? Er war doch sowieso das Arschloch der Nation.
    Seine Exfrau hat ihn abgezockt. Im Mittelhaus hat er Lokalverbot. Und die Stelle beim Callcenter war nur befristet gewesen. Und dann die Sache mit dem Mädchen   …
    So eine junge Göre starb unter komischen Umständen, und die Polizei fiel bei ihm ein. Vorgestern war das gewesen. Sie hatten neugierige Fragen gestellt, sich misstrauisch in seiner Bude umgeschaut und noch mehr neugierige Fragengestellt: Sie haben also alleine vor dem Fernseher gehockt? Können Sie das beweisen? Was ist in der Serie passiert? Finden Sie nicht auch, das Alibi ist etwas mau?
    Wäre vielleicht gar nicht so schlecht, das mit dem Totsein, dachte Rüdiger Wesselmann. Aber man stirbt ja nicht so mir nichts, dir nichts. Stattdessen hatte er sich gestern mit seinen Kumpels beim Marktplatz getroffen. Die Gegend rund um den alten Friedhof war ihr Revier. Früher einmal hatte Rüdiger die Penner auf den Parkbänken verachtet, ganz dunkel konnte er sich noch daran erinnern. Früher, das war vor dem ganzen Dilemma gewesen. Heute waren diese Leute seine besten – seine einzigen – Freunde.
    Aber etwas war gestern komisch gewesen. Ein Fremder, angeblich ein Kumpel von Wolle und Knut, hatte einen ausgegeben. Das war an und für sich nichts Ungewöhnliches, seine Freunde waren oft spendabel. Auch Rüdiger schmiss manche Runde Bier oder Korn, wenn er gerade mal Geld übrig hatte. Aber gestern war es anders gewesen. Sie hatten direkt neben der Trinkhalle gehockt, nicht wie sonst hinten zwischen den Bäumen. Der Unbekannte hatte ziemlich viel vertragen und immer wieder neues Bier geholt. So einer sollte öfter mal zu Besuch kommen, hatten alle gemeint. Es war ein unglaubliches Gelage gewesen. Als hätten sie etwas zu feiern gehabt.
    Niemand wusste hier von Rüdigers schlechter Angewohnheit. Die kannten alle nur

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