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Die Blütenfrau

Die Blütenfrau

Titel: Die Blütenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Klingelknopf gab es nicht.
    «Wir müssen zu Hanno Thedinga. Und zwar sofort!» Die Erklärung lieferte Wencke ihm zwischen lautstarkem Poltern und Rufen, mit dem sie wahrscheinlich die ganze Insel aufweckte. Axel hörte wortlos zu. Ob sie ihn hier und jetzt überzeugen konnte, war ohnehin egal. Spätestens wenn sie Thedinga zur Rede gestellt und ihn nach Gernot Huckler und Griet Vanmeer befragt hatte, würde Axel die Aktion für gelungen halten.
    «Hallo? Aufmachen! Hier ist die Polizei!» Wenckes Fäuste begannen zu schmerzen.
    Endlich wurde die Tür geöffnet. Der Hoteldirektor, in dessen Gesicht Empörung und Schlaftrunkenheit konkurrierten, ließ sie herein.
    «Was in Dreiteufelsnamen   …» Hektisch band er sich den Bademantel zu.
    Wencke lief barfuß im engen, schummrig beleuchteten Flur an ihm vorbei. Sie hinterließ eine nasse Spur auf dem Teppichboden. «In welchem Zimmer schläft Hanno Thedinga?»
    «Ich wüsste nicht, warum ich Ihnen das um diese Uhrzeit verraten sollte.»
    «Vielleicht, weil ich bei meiner Suchaktion sonst nicht vor dem Gästebereich haltmachen werde – und zwar in voller Lautstärke?»
    «Ich hole die Polizei!»
    «Guter Witz, Herr Meyerhoff. Wo ist das Zimmer?»
    Er gab auf, schleuste sie über eine knarzende Treppe in den ersten Stock und zeigte auf die erste Tür. Wencke klopfte an, wartete aber keine Antwort ab und drückte die Klinke nach unten. Verschlossen. Sie schlug mit der flachen Hand auf das Holz. «Thedinga? Machen Sie auf!» Doch es tat sich nichts.
    «Haben Sie einen Ersatzschlüssel?», fragte sie den Hotelier.
    «Haben Sie einen – wie heißt das so schön im Fernsehen   – Durchsuchungsbefehl?»
    «Nein, habe ich nicht. Aber wenn Gefahr im Verzug ist   …»
    «Was für eine Gefahr? Im Moment sind Sie hier die Einzige, vor der man sich fürchten muss.»
    «Machen Sie keinen Scheiß!», mischte Axel sich nun ein. «Holen Sie endlich den Schlüssel, verdammt nochmal.» Der Satz wirkte. Meyerhoff zog ohne Widerrede einen klimpernden Bund aus der Tasche seines Bademantels, suchte das passende Exemplar und schloss die Tür auf.
    Im Raum war es fast dunkel. Lediglich eine dicke, tiefschwarzeKerze mit drei brennenden Dochten warf ihr flackerndes Licht ins kleine Zimmer. Die Luft war gesättigt vom Wachsgeruch und der Hitze, die sich im Sommer unter schlecht isolierten Dachschrägen sammelt. An den Tapeten klebten Bilder, Schwarz-Weiß-Aufnahmen, Haut und Leder, Feuer und Fesseln. Ein seltsamer Engel war auf einem Poster abgebildet, mit Ziegenkopf und Schwert. Wencke entzifferte die verschlungenen Buchstaben darunter: Samael. Der Dämon. Sie hatte also recht gehabt. Samael war Griets Freund. Samael war Hanno Thedinga.
    Regen trommelte auf das Veluxfenster. Sonst war nichts zu hören. Keine Musik, kein Schnarchen und auch keine Beschwerde, dass so rabiat in die Privatsphäre eingedrungen wurde.
    Wencke zögerte. Doch noch bevor sie den ersten Schritt in das düstere Reich von Hanno Thedinga setzte, war ihr klar, was sie erwartete. Sie waren zu spät gekommen.
    Hanno Thedinga lag auf dem Bett, mit dem Gesicht zur Wand. Der Spiegel, den er sich gegenübergestellt hatte, zeigte ein erschlafftes Gesicht, einen zerschnittenen Hals und einen riesigen roten Fleck auf dem Kissen.
    Hanno Thedinga musste sich selbst beim Sterben zugeschaut haben.
    Beleuchtet vom Schein der Kerzen.

32.
    Sweet Chestnut
(Edelkastanie oder Esskastanie)
    Botanischer Name: CASTANEA SATIVA
    Die Blüte gegen die totale Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit
     
    «Habe ich dich geweckt?», fragte Ute. Es war sechs Uhr morgens.
    «Ich habe seit drei Nächten nicht mehr geschlafen, und es kommt mir vor, als werde ich es wohl nie wieder können.» Peter Sendhorst hätte seiner Exfrau am Telefon auch erzählen können, dass er seit Stunden damit beschäftigt war, Allegras Kleider auf dem Fußboden im Wohnzimmer auszubreiten, sie mit Kissen auszustopfen und Spielsachen dazuzulegen. Aber er behielt es für sich. Er wollte nicht, dass Ute sich auf den Weg machte, ausstaffiert mit ihrem umfangreichen Medikamentenkoffer, in dem sie dann stundenlang nach den passenden Wässerchen oder Pillen suchen würde, die ihm angeblich auf die Beine helfen sollten. Wie denn auf die Beine helfen, wenn ihm der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Wie denn?
    «Sie haben ihn.»
    «Was?»
    «Ja, Gott sei Dank, stell dir vor, sie wissen jetzt, wer unsere Alli ermordet hat.»
    War das gut? Oder schlimm? Oder egal? Peter Sendhorst

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