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Die Blume der Diener

Die Blume der Diener

Titel: Die Blume der Diener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delia Sherman
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quälte. Doch obwohl die Räuber selbst das geringste Mitglied des Haushalts ermordet hatten, verschonten sie Elinor, sodass sie ihre Toten begraben und sich auf den Weg nach Cygnesbury machen konnte. Warum war nicht auch sie umgebracht worden?
    Ein Zweig verfing sich in Lionels Haar und hätte ihn beinahe vom Pferd gerissen. Erschrocken richtete er sich im Sattel auf und bemerkte, dass der Mond untergegangen war und der Wald sich pfadlos und finster um ihn erstreckte. Lionel zerrte an den Zügeln. Er wollte anhalten und schlafen, bis das Tageslicht Klarheit brachte, aber Glaucus blieb nicht stehen. Dieser mitternächtliche, verzauberte Ritt passte zu der Erscheinung des Hirsches und der Taube und zu William, der eigentlich Elinor und Lionels große, wahre Liebe war. So kreisten die Gedanken des Königs in engem Kreis umher wie ein Vogel an der Leine.
    Trotz allen Zaubers und Glaucus’ Anstrengungen war es bereits später Nachmittag, als Lionel durch das Westtor von Cygnesbury preschte und durch die gewundenen, überfüllten Gassen zum Schlosstor ritt. Inzwischen waren König und Pferd so erschöpft, dass sie kaum mehr wussten, wo sie waren. Langsam trottete Glaucus unter dem Fallgitter her und gelangte in den Schlosshof. Die aufgeschreckten Wachen rannten herbei und wollten ihrem König beim Absteigen helfen, doch Lionel trieb sein Ross die breite Treppe hinauf und geradewegs in die große Halle hinein.
    Obwohl das Mittagsmahl schon vorüber war und man die Bocktische entfernt hatte, wimmelte es in der großen Halle von Rittern und Lords, die sich um den Haushofmeister drängten und lautstark beratschlagten, ob sie einen Spähtrupp auf die Suche nach dem umherirrenden Monarchen schicken sollten. Als Lionel unter ihnen erschien – bleich, mit starrem Blick und auf seinem großen grauen Pferd sitzend –, schwiegen sie zunächst. Dann schrien sie alle gleichzeitig vor Freude auf und drängten sich um Glaucus’ schwitzende Flanken.
    Lionel saß wie versteinert im Mittelpunkt des Lärms und Aufruhrs. Seine ganze Aufmerksamkeit war auf William gerichtet, der sich durch die Menge der Adligen, Wachen, Pagen und Hofdamen drängte. Als er seinen Herrscher erreicht hatte, ergriff William den Steigbügel und blickte Lionel an. Lionel starrte auf die geliebten grauen Augen nieder und hörte, wie die geliebte Stimme ausrief: »Mein Gebieter!« Ohne nachzudenken packte er seine wahre Liebe am Arm, hob ihn auf den Sattel und küsste ihn feurig auf die Lippen.
    Wenn Lionel gehofft hatte, seine Geliebte würde die Zärtlichkeiten erwidern und ihm die Arme wie Efeu um den Hals legen, wurde er enttäuscht. Der Mund, den er so heiß küsste, blieb kalt; der Körper in seinen Armen war starr und unnachgiebig. Verletzt und verwirrt öffnete Lionel die Augen und starrte das bleiche Gesicht seiner Geliebten an. Zum ersten Mal wurde er sich der gaffenden, grimassierenden Gesichter um ihn herum gewahr.
    Elinor und er waren nicht allein, wie Lionel sich erträumt hatte, sondern hockten auf Glaucus wie auf einem hohen Fels und waren von einem wispernden Meer von Höflingen umgeben. Lionel schaute sich um. Langsam erwachte sein Verstand und das Herz sank ihm in die Hose. Seine Adligen starrten ihn wie gelähmt an; einige hatten den Mund geöffnet, andere die Lippen vor Ekel zusammengepresst. Hier und da lächelte eine Lady heimlich hinter vorgehaltener Hand. Am Rande der Menge schluchzte die kleine Gräfin von Pascourt laut in der Umarmung ihrer Tante.
    Das Blut pulsierte heiß in den Ohren des Königs. Er räusperte sich. Falls er bisher geträumt haben sollte, war er nun hellwach. Er wusste natürlich, dass er eine Frau in den Armen hielt, aber sein Hof wusste es nicht. Er musste es ihnen sofort sagen.
    »Dieser Lady …«, begann er mit rauer und trockener Stimme. Eine Flüsterwelle lief auf ihn zu und machte ihn wütend. »Dieser Lady«, brüllte er, »ist schreckliches Unrecht widerfahren!« Das Murmeln senkte sich.
    Lionel fuhr gemäßigter fort: »Mir wurde eröffnet, dass diese Frau Lady Elinor Flower, Gemahlin von William Flower ist, der zusammen mit seinem Haushalt und ihrem gemeinsamen Sohn heimtückisch ermordet wurde. Sie nahm seinen Namen und das Gebaren eines Mannes an und kam an den Hof, um ihrem König zu dienen.« Er warf einen Blick in die Menge. Wagte es jemand, etwas dazu zu sagen? Die Halle blieb vollkommen still.
    »Mein Gebieter«, flüsterte eine leise Stimme ihm ins Ohr. »Euer Pferd zittert vor Schwäche und Ihr

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