Die Blume der Diener
Margaret an ihr bronzenes Horn erinnerte. Neugierig stand sie auf, trat zu dem Instrument und legte die Hand darauf. Das Horn war warm und erzitterte leicht, als ob ein Geist hineinblase.
Margaret sprach eine einfache Austreibungsformel. Der Ton blieb; er schwoll sogar an. Aus den Augenwinkeln sah Margaret, wie der Schleier vor dem Spiegel zuckte und sich aufbauschte. Aus Neugier und Gewohnheit ging sie furchtlos auf ihn zu, drehte ihn zum Zimmer, nahm den Schleier ab und schaute hinein.
Zum ersten Mal seit vielen Monaten war der Spiegel vollkommen blank. Er zeigte weder Frau noch Mann, weder Fuchs noch Feuer. Voller Hoffnung suchte Margaret seine bronzenen Tiefen ab und entdeckte schließlich einen Funken – einen gelben Schein, der sich allmählich zu einer Flamme verdichtete. Sie brannte auf einem Tisch in einer irdenen Lampe. Margaret erkannte die Gestalt eines jungen Mannes, der über ein dickes Buch gebeugt saß und den Worten mit dem Zeigefinger folgte. Das Licht wurde stärker, fiel auf das glänzende, weizengoldene Haar, welches das Gesicht des jungen Mannes verbarg, und glitzerte auf den Gliedern einer Kette, die ihm schwer auf der Brust lag. Margaret streichelte wimmernd über die kalte Oberfläche des Spiegels.
Unter ihren Fingern rieb sich der junge Mann die Hände, als wolle er sie wärmen. Dann lehnte er sich zurück, gähnte und streckte sich. Die Öllampe flackerte und warf tiefe Schatten über Augen und Mund der Gestalt. Das widergespiegelte Gesicht wirkte wie ein Schädel. Trotzdem erkannte Margaret es. Sie erkannte ihren Tod. Ihr Schicksal. Ihre Tochter.
Margaret schüttelte den Spiegel, als wäre er die Schulter der in ihm verborgenen Frau. »Miststück!«, rief sie dem unbeteiligten Bild entgegen. »Flittchen! Kräuterhexe! Bietest deiner Mutter die Stirn? Ich hätte dich mit deiner Nabelschnur erwürgen sollen!«
Die Widerspiegelung zuckte zusammen und schien zu lauschen.
»Kannst du mich hören, Range?« Margaret schrie nun in ohnmächtiger Wut. »Meine Dämonen werden dich in Stücke reißen, meine Winde werden dich vom höchsten Turm im Schloss deines Buhlen stürzen! Ich werde dich vernichten, du Henne im Hahnenkleid, auch wenn das meine eigene Vernichtung bedeutet. Du Abschaum, du Überteufel, du Lentustochter!«
Bei diesen Worten sah die junge Frau auf. Durch das Fenster des Spiegels hielt sie dem Blick ihrer Mutter stand.
Wie in einem Stahlspiegel sah Margaret ein dreieckiges, knochiges Gesicht und schmale, helle Augen, einen breiten, knurrenden Mund und eine Flammenmähne. In den starren grauen Augen erkannte Margaret die Widerspiegelung einer von Verlangen verführten Seele, die blind gegenüber ihrer eigenen Schwäche war – eine Seele, die ihre Macht in unreine Bronze gegossen und ihren Glauben an den Wind verschenkt hatte.
Margaret riss den Blick von dieser gespenstischen Vision los und packte das bronzene Horn. Ohne vorher ein Pentagramm zu zeichnen, rief sie all ihre achtzig wartenden, nach Rache gierenden Dämonen herbei: Hausgeister und Kobolde, Dämonen und Teufel. Unverzüglich rauschten ihre windigen Scharen herein und erkannten, dass sie nur durch das Horn und den Willen ihrer Herrin gebunden waren. Einen Augenblick lang fesselte sie allein Margarets Zorn. Sie krochen hilflos zwischen ihr und dem verwunderten Gesicht im Spiegel hin und her. Dann flog der Höllenfürst fröhlich pfeifend durch das Turmfenster herein. Unter seinem eiskalten Atem gefroren Margarets feurige Fesseln und brachen auseinander. Ein weiterer Atemzug blendete das bronzene Auge des Spiegels mit Frost und senkte eine unergründliche Kälte in Margarets Herz. Sie blies noch immer auf dem Horn, als der Höllenfürst bereits ihre eigene Armee gegen sie in die Schlacht schickte.
Bücher voller Geheimwissen gerieten in den fröhlichen Mahlstrom und flatterten laut um Margarets Kopf. Tiegel und Retorten schlugen gegen die Steinwände und rissen große Splitter aus den hölzernen Regalen. Glasphiolen und zarte Kristallgefäße wurden im Sturm zerschmettert und die Scherben wirbelten in einer gleißenden Wolke durch den Raum. Kissen, Gobelins, Stühle, Tische und Lesepulte wurden in den dämonischen Wirbelwind gesogen. Schließlich wurde sogar Margarets Füchsin unter den Röcken ihrer Herrin hervorgezogen und sauste jaulend durch die Luft.
Ohne Hoffnung, aber beharrlich bearbeitete Margaret ihr Horn. Sie blies die ausgemergelten Backen auf und versuchte, den Aufruhr der Dämonenarmee zu ersticken.
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