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Die Blume der Diener

Die Blume der Diener

Titel: Die Blume der Diener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delia Sherman
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nein, Mylord. Der Mann ist eine Frau. Habt Ihr nicht gehört, wie Seine Majestät das gesagt hat?« Dann murmelte er leise in Lady Bracktons Ohr: »Was denkt sich der Junge nur dabei, Elizabeth? König Geoffrey hätte seinem Hof niemals eine solche Szene dargeboten.«
    »Pst, Alfred«, antwortete Lady Brackton.
    »Ja«, erwiderte er unsicher. »Ich verstehe. Das arme Kind.«
    Er gab Alysons Schulter drei kleine Klapser. »Jung Flower wird sich eine Menge Fragen gefallen lassen müssen.« Er hielt verstört inne und setzte dann nachdenklich hinzu: »Der König braucht jetzt einen neuen Haushofmeister.«
    Alyson drückte sich in die Arme ihrer Tante und zitterte wie eine Wachtel auf dem Feld. Sie kam sich klein und gejagt vor und konnte sich vor Scham kaum mehr bewegen. Warum tat sich der Boden der Halle nicht auf und verschluckte sie und ersparte ihr so Erniedrigung und Entehrung? Die erregten Gespräche in ihrer Nähe flossen in Alysons Ohren wie murmelndes Wasser zusammen. Vielleicht würde sie ja ohnmächtig, dachte sie hoffnungsvoll. Dann erhob sich eine einzelne Stimme über das allgemeine Geraune: »Meine Lady Alyson«, sagte Sir Lawrence Ostervant. »Erlaubt Ihr mir …«
    Mit wehenden Röcken riss sich Alyson aus der Umarmung ihrer Tante los und floh in die Halle hinein.
    Als Lady Brackton wenig später ihre Nichte suchte, fand sie sie in der Turmstube. Alyson hatte sich schluchzend auf den Fenstersitz geworfen. Ihr lerchenflügelfarbenes Haar hing ihr vor dem Gesicht. Lady Brackton murmelte: »Na, na, mein Liebes« und »immer mit der Ruhe, mein Herzchen« und setzte sich neben sie. Sie nahm Alysons Hand und streichelte ihr über das Haar und die wogenden Schultern. Eine Minute lang gab Alyson dankbar der mütterlichen Zuneigung ihrer Tante nach.
    »Wirklich, mein Liebstes, es wäre niemals gut gegangen, auch wenn der Haushofmeister ein Mann wäre.«
    Alyson sprang auf und erklärte, sie wolle nicht getröstet werden wie ein Säugling, der seine Rassel verloren habe. Dann rannte sie aus dem Zimmer in ihr eigenes Schlafgemach. Sie schlug die Tür hinter sich zu und verriegelte sie.
    Den ganzen Abend über und bis tief in die Nacht hinein trat Alyson eine Laufspur in die Binsen und weinte und tobte dabei wie ein kleiner Herodes. Vergeblich klopfte ihre Dienerin Margery an die Tür und bat sie, aufzusperren. Vergeblich versuchte Lady Brackton, sie mit dem Versprechen eines beruhigenden und gleichzeitig anregenden Trunks, eines Urlaubs vom Hof und einer eigenen spanischen Stute herauszulocken. Ihre Demütigung machte Alyson taub gegen die Bitten der anderen.
    Wie hatte sie nur so närrisch sein können, eine Frau in einem Wams für einen richtigen Mann zu halten? Aber wer wäre denn auf den Gedanken gekommen, dass sich eine Frau so verkleiden könnte? Der König hatte sie ›Lady Flower‹ genannt. Lady Flower! Welche Lady ließe sich dazu herab, Wasser zu schöpfen und Zwiebeln zu schneiden? Welche Lady zeigte aller Welt ihre Beine, verkehrte mit Küchenjungen, teilte sich die Kräuterkammer mit einer fetten Wäscherin und klärte ein grünes Gör stundenlang über die Eigenschaften von Salbei und Verbenen auf?
    In schamhafter Verwunderung erinnerte sich Alyson an diese langweiligen Lektionen und an die atemlose Aufmerksamkeit, mit der sie zugehört hatte. Sicherlich hatte William – nein: Lady Flower – die ganze Zeit gewusst, dass nicht allein das Interesse an Kräuterkunde eine Gräfin Tag für Tag bei drückender Hitze in einem Küchengarten festhielt. Bestimmt hatte sich Lady Flower – dieser nachgemachte Mann, dieses schamlose, bloßbeinige Weibsstück – über Alysons närrische Verliebtheit ins spitzengeschmückte Fäustchen gelacht. Alyson war vielleicht ein Dummkopf gewesen, doch jetzt war sie schlauer. Nie wieder würde sie ihr Herz an ein hübsches Äußeres verlieren. Liebe war eine Illusion und Schönheit nur ein Traum, sagte Alyson sich und weinte.
    Als Alyson am nächsten Morgen ihre Tante und ihren Onkel nicht zur Messe begleitete, verbat Lady Brackton Margery, sie aufzuwecken. Es gab schon genug bleiche Gesichter mit Schatten unter den Augen, die die Hallen und Gemächer des Hofs heimsuchten: Adlige, die einen Krieg mit Gallimand befürchteten, und Diener, die Angst vor einem neuen Haushofmeister hatten. Es war besser, wenn man das Mädchen schlafen ließ.
    Als Lady Brackton am Arm ihres Gemahls die königliche Kapelle betrat, versuchte sie vergeblich, alles Weltliche aus ihren Gedanken zu

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