Die Blume der Diener
Mit all ihrer zauberischen Macht stieß sie einen ununterbrochenen, heiseren, bronzenen Ton aus, bis das Horn in einem Schauer aus schartigen Bronzestücken zerbarst. Dann kehrten die Dämonen in einem stillen, eiskalten Luftzug in ihren ureigenen Bereich der Hölle zurück und Margaret fiel besinnungslos neben dem zerschmetterten Fuchskörper nieder.
Kapitel Vier
Sicherlich lag in jener Nacht ein wohltätiger Zauber über dem Wald von Hartwick. Weder stolperte Glaucus noch verirrte er sich auf den verschlungenen Pfaden. Lionel hatte die Zügel losgelassen und hing zusammengesunken auf dem Rücken des großen Pferdes. Es lief einfach dorthin, wohin der Zauber es führte, doch es hatte die Ohren angelegt und zitterte unruhig.
Lionel ritt wie in einem regenbogenfarbenen Nebel und wurde von widersprüchlichen Gefühlen zerrissen. Wachträume durchjagten ihn – Träume von heimtückischem Mord und überirdischen Tieren, von übernatürlichen Müttern und endlosem Kummer. In all diesem Durcheinander von Ahnung und Wunder war nur eines klar. Der Haushofmeister war eine Frau; William war Elinor. Der Himmel lächelte auf seine Liebe nieder.
»Elinor Flower.« Lionel sprach ihren Namen laut aus, als ob der Klang ihre wahre Gestalt wirklicher machen könnte. »Schöne Elinor, weiser als die Sieben Weisen. Ich liebe dich mehr als mein Leben. Wie hatte ich jemals annehmen können, du seiest ein Mann?« Mit geschlossenen Augen und fest um den Sattelbogen gelegten Händen versuchte er sich seine Geliebte als Königin gekleidet vorzustellen: das weizengoldene Haar in einem juwelenverzierten Netz und die schlanke Gestalt von einem spitzenbesetzten, tief ausgeschnittenen Kleid gleichzeitig verhüllt und entblößt.
Doch das Gesicht vor seinem geistigen Auge war zu herb für einen solch zierlichen Rahmen und der Körper zu knochig für solche Kleidung. Es veränderte Lionels lebhafte Liebe nicht, wenn er William in Elinors Kleider steckte. In seiner Vorstellung zog Lionel seiner Geliebten das Kleid über den Kopf. Doch die einzige weibliche Nacktheit, die seine Phantasie erschuf, war die der schmalhüftigen und schamhaarlosen jungen Hure aus Cygnesbury.
Lionel schwankte auf Glaucus’ Rücken. Das mächtige Pferd schnaubte und warf den Kopf hoch. Das Rätsel seines Herzens war dunkler als das Rätsel des Taubenliedes, dachte Lionel wehmütig. Vielleicht konnte Elinor es lösen.
Mit großer Willensanstrengung setzte sich Lionel im Sattel aufrecht. Das Lied der Taube – was mochte es bedeuten? Es wimmelte von Rätseln und gab keine einzige Antwort. »Zu Raub und Totschlag kamen sie.« Wer war erschlagen worden? Sicherlich die Taube. Sie musste Elinors Liebhaber oder möglicherweise ihr Ehemann gewesen sein. Ein Vater oder Bruder würde sie nicht ›Geliebte‹ nennen und William – nein: Elinor – war zu sittsam, um die Mätresse irgendeines Mannes zu sein. Das verwüstete Gemäuer drängte Lionel den Gedanken auf, dass dieser Gemahl ein Ritter gewesen sein musste, dem das Anwesen im Wald zum Lehen gegeben worden war. Er konnte es auch wagen, ihm einen Namen zu geben, denn sicherlich hatte Elinor den Namen ihres Gemahls angenommen.
Aber war die Taube jener ›er‹, dessen gelbes Haar Elinor mit Erde bedeckt hatte? Das Grab war zu klein für einen erwachsenen Mann gewesen. Und was war mit dem einjährigen Hirschen, der Lionel zu dieser Lichtung geführt hatte? Hatte Elinor neben dem Gatten auch einen Sohn verloren?
Lionel dachte über all dies nach und sein Herz verging vor Mitleid. Die arme Unglückliche war so grausam in einem einzigen Augenblick ihres Mannes, Kindes und Heims beraubt worden und daran war kein Kriegsunglück und keine Seuche Schuld, sondern die Boshaftigkeit einer grausamen Mutter. Eine solche Mutter war unnatürlich, verflucht und unmenschlich, dachte Lionel. Er würde sie zur Strecke bringen und wie ein Wildschwein abschlachten, wo immer ihr Nest sein mochte. Schließlich hatte er nichts Geringeres geschworen.
Aber wer war Elinors Mutter und wo lebte sie? Die Taube hatte ihm keine brauchbaren Hinweise gegeben. Lionel starrte in die Dunkelheit und ordnete Punkt für Punkt das Wenige, das ihm bekannt war. Die Frau hatte Räuber ausgesandt, damit sie ihrer Tochter alles nahmen, was sie hatte. Also musste die Mutter große Macht besitzen. Entweder waren es ihre eigenen Schurken gewesen, oder sie hatte sie angeworben. Natürlich war sie zutiefst bösartig, wenn sie ihr Kind auf diese entsetzliche Weise
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