Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Blume der Diener

Die Blume der Diener

Titel: Die Blume der Diener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delia Sherman
Vom Netzwerk:
oder zauberischen Ritualen beistanden. Einmal zeigte der Spiegel das einfache Zauberbuch, aus dem sie zu lesen gelernt hatte. Margaret hatte daraus einige Fragmente alchimistischer und zauberischer Künste gestohlen und mit ihnen die einfachen Zauberstückchen verbessert, die Lentus ihr beigebracht hatte. Sie erkannte einen Zauberspruch, mit dem man Läuse bannte; es war der erste gewesen, den sie ohne Anleitung aufgesagt hatte; auch sah sie die Formel, durch die man Zehennägel nach innen wachsen lassen konnte; damit hatte sie oft ihren Meister gequält. Und in einem anderen, in unsauberes Leder gebundenen und mit Eisenschließen versehenem Buch erkannte sie den Abwehrspruch, mit dem sie ihren Körper vor den schlimmsten Auswirkungen von Lentus’ Magie geschützt hatte.
    Dieser Spruch hatte Lentus’ Dämonen davon abgehalten, sich ihres Körpers zu bemächtigen, und sie vor den Giften und Schwefeldämpfen seiner zauberischen Feuer geschützt, aber er hatte keine Macht gegen Lentus selbst besessen. Jede Nacht und wann immer die Rituale es erforderten, hatte sich Lentus zu seinem weiblichen Lehrling gelegt und sie als seine Hure gebraucht. Margaret schloss die Augen vor seinem fetten, weißen Körper, der sich wie eine aufgeblähte Spinne über die Oberfläche des Spiegels ausbreitete; aber ihre Erinnerung konnte sie nicht so leicht verdrängen. In jener Nacht lag Margaret schlaflos in ihrem Bett und glaubte, sie fühle den schweren Geist von Lentus wieder über sich, wie er schmerzhaft der Erfüllung seines Vergnügens entgegenstieß.
    Wenn ihre Mutter es nicht versäumt hätte, Margaret in Kräuterkunde zu unterrichten, hätte sie sich möglicherweise mit einem Trank und einem einfachen Spruch schützen können. So aber wölbte und blähte sich schließlich ihr Bauch und im Sommer ihres siebzehnten Jahres gebar Margaret ihrem Meister ein Kind, eine Tochter – sie war wie eine goldene Rose.
    Im Spiegel beobachtete Margaret, wie der von seiner Vaterschaft überraschte Magister Lentus neben der Wiege saß und das wunderbare Wesen anstarrte, das er gezeugt hatte. Sein Abbild warf die vollen Lippen zu einem Fischmaul auf und gurrte den Säugling an. Margaret spürte, wie ihr übel wurde. Wie konnte er in ein solches Wesen vernarrt sein – in einen kreischenden Zwerg, der nach Urin und saurer Milch stank? Dieses Ding hatte sie anschwellen lassen und zerrissen und sie in Ketten der Pflicht gelegt. Sie hätte es gern getötet. Aber das stärkste Verbot in den höheren Künsten der Magie lautet, dass seine Schüler nicht ihre eigene Nachkommenschaft verletzen dürfen. Kein Magier, Zauberer, Hexenmeister, Alchimist, Nekromant oder Thaumaturg darf den leisesten Zauberspruch formen, der jemanden von seinem eigenen Blute töten, verstümmeln oder verfluchen soll, denn dieser Spruch wird auf ihn selbst zurückfallen.
    Da Margaret das Kind weder töten noch seinen Anblick ertragen konnte, wuchs ihr Hass auf ihre Tochter und deren Vater beständig. Lentus hatte ihr viel versprochen und wenig gegeben: Der Spiegel war für sie nicht nützlicher als ein Spielzeug, ein magisches Fenster, durch das sie Bilder sah, die sie nicht verstand; und das Horn rief nichts Sichtbares hervor. Er hatte ihren Körper benutzt und sie eingekerkert und das unterschied sich in nichts von dem, was ihr verhasster Vater ihr angetan hatte. Ein paar Kenntnisse hatte sie während ihrer Arbeit gestohlen und ein wenig Macht über die Dämonen erlangt, die Lentus als Schatten eingefangen hatte. Das mochte genügen. Es gab kein magisches Verbot, einen anderen Zauberer zu töten.
    Margaret war nicht überrascht, dass der Spiegel davor zurückscheute, ihr Lentus’ Tod zu zeigen, denn sie sah das metallene Instrument inzwischen als ihren Folterer an. Ihr Fluch über die vogelfreie Räuberbande, demzufolge sich deren eigenen Schwerter gegen sie selbst richten und sie töten sollten, schien auf Margaret zurückgefallen zu sein. Aber sie behielt diese Nacht im Gedächtnis und erzählte ihrer Füchsin immer wieder davon – wie einen Zauberspruch gegen die Verzweiflung.
    Es war ein Abend im späten August gewesen; ein gewaltiges Gewitter hatte gedroht. Das Kind war inzwischen zwei Monate alt, fett und kräftig, und es schien es stur darauf anzulegen, weiter zu wachsen und zu gedeihen. Im oberen Gemach des Turmes hatten sich Margaret, Lentus und der Säugling in einem Zerrbild häuslicher Beschaulichkeit versammelt. Margaret hatte versucht, bei Kerzenlicht einen

Weitere Kostenlose Bücher