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Die Blume der Diener

Die Blume der Diener

Titel: Die Blume der Diener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delia Sherman
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mir spüre; ich werd beobachtet, ob ich schlafe oder wache. Bald bin ich ganz durcheinander.«
    Tom schaute von seinem Haferbrei auf und hob die Augenbrauen in einem Ausdruck zwischen Hoffnung und Spott. »Weib, Weib, bist du etwa schwanger?«
    Zwanzig Jahre Ehe hatten Bet gelehrt, dass Tom seine tiefsten Sehnsüchte immer unter Hohn verbarg, aber trotzdem trafen sie seine Worte hart. Sie war vierzig Jahre alt und keine Sarah, die im Alter noch gesunde Kinder gebären konnte, wo ihr das bereits in der Jugend nicht möglich gewesen war. Kinderlos waren sie und kinderlos würden sie bleiben; Tom musste endlich lernen, sich dieser Wahrheit zu stellen. »Nein, Tom«, gab sie wütend zurück, »’s ist nicht nett von dir, mir meine Unfruchtbarkeit ins Gesicht zu schleudern.«
    Tom errötete tief, »’s ist nicht nett von dir, beleidigt zu sein, wenn ich gar keine Beleidigung im Sinn hatte. Nein, dich kann man nicht zufrieden stellen.«
    Bet sprach nicht mehr über ihre Heimsuchungen, aber sie ereigneten sich immer noch – den ganzen Sommer hindurch und bis in den Herbst hinein. Alles wuchs langsam in diesem Sommer, der kälter und nasser als gewöhnlich war. Erst im späten August stand die Gerste golden auf den Feldern und wartete darauf, von Tom und seinen Männern geschnitten und zum Schutz gegen den Herbstregen in Garben gebunden zu werden.
    Es war noch drei Tage bis zum Fest des heiligen Giles. Seit Tagen hatte ein brausender, feuchter Wind geblasen. Dann kam eine schwere und hartnäckige Windstille; der Himmel lag wie eine Steinfliese über den Häuptern der Schnitter. Tom roch das herankommende Sturmgewitter und rief die Mägde seiner Frau aus der Molkerei zusammen. Mägde, Herr und Tagelöhner arbeiteten fieberhaft daran, die Garben zu binden und zu schichten, bis kurz vor Sonnenuntergang die Wolken aufbrachen. Zuerst strömte Regen aus dem Himmel, dann verhärtete er sich zu Hagelkörnern, die den Arbeitern rasselnd um die Ohren flogen. Alle flüchteten in die Scheune, wo sie die Nacht verbrachten und zusahen, wie der Hagel das Stroh zu einer durchweichten Masse zusammenschlug.
    Zu Beginn des Sturmes stand Bet lange an der Tür zur Kräuterkammer und überlegte lange, ob sie die Schnitter mit Fleisch und Bier trösten sollte. Aber als die Dunkelheit hereinbrach, wurden die Hagelkörner so groß wie eine Kinderfaust. Der Wind heulte und grummelte und wilde Blitze zischten am Dachgebälk entlang. Es war Wahnsinn, nun nach draußen zu gehen.
    Bet mischte zur Beruhigung ihres Gewissens einen Sirup, der die Schnitter gegen ein mögliches Fieber stärken würde. Es war ein einfacher Sud aus Gänseblümchen und Rapunzelglockenblumen, doch das Destillieren und Abschöpfen dauerte im Ungewissen Licht sehr lange; als sie schließlich ins Bett kroch, fühlte sich Bet müde genug, um trotz des Donners, des Windes und des niederprasselnden Hagels schlafen zu können. Aber gerade ihre Müdigkeit hielt sie wach und das Unwetter drosch wie alte Sorgen auf sie ein. Bet wälzte sich seufzend hin und her. Als sie ein lautes Scheppern unten in der Küche hörte, zog sie sich das Laken über den Kopf. Wenn die Ratten im Haus Unterschlupf suchten, würde sie ihnen das in einer Nacht wie dieser nicht verübeln.
    Dann hörte Bet Martindale einen Laut, den sie in diesem Haus niemals zu hören erwartet hätte: es war das dünne, wütende Quäken eines hungrigen Säuglings.
    Sie sprang aus dem Bett, warf sich rasch einen Kittel über ihre Nacktheit und stolperte barfuß die Treppe hinunter. Sie stieß den Kupferkessel mit Wäsche um, den sie zum Einweichen neben die Tür zur Vorratskammer gestellt hatte, und watete achtlos durch die Schürzen und Hemden, die nun auf dem nassen Boden schwammen.
    Das mit Asche bestreute Feuer warf ein schwaches Glimmern über den Herdstein. Ein nacktes Kind lag darauf, ein Mädchen, das mit fetten Beinchen austrat und in rasender Wut schrie. Voller Mitleid und Verwunderung kniete Bet neben ihr nieder und glättete zitternd den hellen Flaum auf dem kleinen Kopf. Das Kind beruhigte sich für einen Augenblick und öffnete weit die schiefergrauen Augen. Für einen Säugling war der Blick des Mädchens seltsam fest. Es schien Bet, als ob es sie unmittelbar anschaute und erkannte. Dieses Gefühl verging im Nu. Das Kind wandte den Blick wieder ab und heulte erneut auf.
    »Ja, mein süßes Lämmchen«, summte Bet liebevoll. »Aber sicher, du musst hungrig sein. Bestimmt ist dir kalt und du bist nass wie ein

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