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Die Blume der Diener

Die Blume der Diener

Titel: Die Blume der Diener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delia Sherman
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winzigen Kittel zu nähen; der Zauberer schaukelte die Wiege mit dem Fuß. Schwerer Regen setzte ein und weckte das Kind auf. Sofort heulte es los – so beharrlich wie sein Vater und so laut wie sein Großvater. Lentus beugte sich vor und beruhigte es.
    Plötzlich entzündete sich in Margaret eine schwarze Wut; sie flackerte auf wie eine zauberische Flamme und verzehrte ihre letzten Bedenken. Mit dem Röhren des Kindes in den Ohren erhob sich Margaret, nahm einen schweren Mörserkolben und schlug Lentus damit auf den kahlen Hinterkopf. Schatten umschwirrten sie, als seine Dämonen zu spät versuchten, ihren Meister vor Margarets Gewalttätigkeit zu retten.
    »Ich kann den Kristall berühren«, sagte Margaret ruhig zu ihnen. »Gebt ihn mir und ich will euch befreien. Ich schwöre bei Fliberdigibbet, bei Hoppelditanz und bei Smolkin. Ich schwöre es bei meinem Horn und meinem Spiegel. Ich schwöre es bei meiner verdammten Seele.« Die Schatten ließen von Lentus ab und hüllten seinen Lehrling in unruhige Wellen aus Dunkelheit.
    Margaret hielt sich aufrecht und fest inmitten der flackernden Schatten, während diese mit unstofflichen Fingern ihre Seele berührten und die Wahrheit ihrer Behauptung zu ergründen versuchten. Ihr Eindringen war eine noch gräßlichere Qual als jede Vergewaltigung, doch der Schmerz festigte Margarets Entschlossenheit. Als die Schatten zufrieden waren, zogen sie sich aus ihr zurück. Zu ihren Füßen lag Lentus halb über dem schreienden Säugling; der Magier blutete aus einer Kopfwunde und sein Atem ging röchelnd. Wie ein Falke schoss Margaret nieder und zog ihm den scharlachroten Kristall vom fetten, weißen Hals. Sanft trugen die Dämonen ihren Meister hinunter zum Bett, wo sie ihn unter ihren rauchartigen Körpern halb erstickten, damit er nicht das Bewusstsein wiedererlangte, bevor Margaret das fesselnde Band löste.
    Im Turmzimmer verspürte Margaret eine rasende Begeisterung, die ihr jeden Zweifel und alle Angst austrieben. Alchimistische Bücher und Instrumente flogen ihr in die Hand; sie fand rasch alle richtigen Zutaten und Sprüche. Taub gegenüber dem Jammern des Kindes erhitzte sie Säuren, Blut und Quecksilber in einem Schmelztiegel – in demselben Schmelztiegel, der die Wiege ihres Horns und Spiegels gewesen war. Als die Mixtur dampfte und rauchte, warf sie den Kristall hinein und sagte die passenden Zaubersprüche dazu auf. Langsam wurde das scharlachrote Juwel matt und bleich, dann fiel es zu einem kleinen Haufen aus farblosem Staub zusammen, der sich in der Lösung zersetzte und nicht die leiseste Spur oder den geringsten Niederschlag hinterließ.
    Wahnsinnige Schreie aus dem Erdgeschoss verrieten Margaret, dass Lentus die Vernichtung seines Talismans bemerkt hatte. Die plötzliche Stille kurz darauf verriet ihr hingegen, dass seine Dämonen ihn vernichtet hatten.
    Noch einmal brodelten die Schatten zu Margarets Füßen und um die Wiege und dämpften das Licht zu einem kränklichen Glimmen. Sie glaubte, sie sähe Umrisse von Hörnern, Klauen und stacheligen Schwingen. Unter diesen Schemen befand sich eine zuckende, weiße Schnecke – möglicherweise Lentus’ Seele. Dann brannten die Kerzen wieder hell und die einzigen Schatten, die im Turm übrig blieben, waren unbelebt und ohne Substanz; sie waren die bloße Abwesenheit von Licht.
    Margaret ließ das kreischende Kind zurück und stieg hinab zu dem unteren Zimmer. Sie überlegte, was sie mit Lentus’ blutleerem Leichnam anstellen sollte. Natürlich musste sie ihn verbrennen; wenn sie es nicht tat, wurde er zum Wiedergänger. Sie hatte nicht genug Kraft, um ihn vom Turm fortzuschleifen; also warf sie einen Feuerspruch auf das Bett und sagte einen anderen auf, der das Feuer daran fesseln sollte. Sie wollte nicht, dass der Turm und seine wertvollen Bücher zusammen mit ihrem Meister verbrannten.
    Als von Lentus und dem Bett nichts mehr übrig war als verkohltes Holz, Asche und der Gestank von verbranntem Fleisch und Federn, stieg Margaret wieder zu dem hoch gelegenen Zimmer hinauf und setzte sich auf den Stuhl ihres Meisters. Sie fühlte sich mächtig und triumphierte; sie war eine Zauberin in potentia, wenn auch noch nicht de facto.
    Das Kind schrie weiter; es war ein wütendes, jämmerliches, unaufhörliches Geleier.
    Margaret hob die Hände und rief laut Wind und Regen herbei. Ekstase knisterte um sie herum wie Blitze, bis sie davon trunken war und mit der ganzen Macht ihrer Wut lachte. Draußen vor dem Turm wurde der

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