Die Blume der Diener
unangenehm heiß in der Turmstube war. Sie erklärte, auch sie sehne eine frische, nach Kräutern duftende Brise herbei. Und so setzte Lady Brackton bereits seit drei Tagen ihr Hinterteil der Härte und Beengtheit einer Steinbank aus, doch während dieser Zeit hatte sich keine Seele Alyson oder dem Kräutergarten genähert außer einem verwirrten und respektvollen Küchenjungen. Er blieb kaum lange genug, um den Rosmarin zu pflücken, dessentwegen er hergeschickt worden war, und überließ die beiden Damen sofort wieder ihrer Einsamkeit. Das alles machte einen ausreichend unschuldigen Eindruck, aber es war etwas unbequem für eine Dame mittleren Alters; also zog sich Lady Brackton bald wieder in die Turmstube zurück und ließ Alyson mit ihrer Stickarbeit im Garten allein.
Zwei langweilige Wochen vergingen, ohne dass der Haushofmeister in den Kräutergarten kam. Um die Wahrheit zu sagen, hatte Alyson schon nach der ersten Woche ihr Verlangen nach einem Treffen mit Master Flower vergessen und kam nur noch in den Kräutergarten, weil sie dort allein und unbeobachtet war. Eine besondere Duftbank aus goldenen und gelbem Blattwerk war zu ihrem Lieblingssitz geworden. Am letzten Junitag saß sie mit übereinander geschlagenen Beinen auf jener Bank. Sie hatte die Röcke bis zu den Knien hochgeschoben und Schuhe und Strümpfe unordentlich neben sich gelegt. Ihr Ritter Tugend war fertig. Nun machte sie sich an die Jungfer Jugend, die sie nach sich selbst gestaltet hatte. Ihre Hände schwitzten in der schwülen Luft; ihre Nadel quietschte und blieb in dem feuchten Leinen stecken. Zwischen Hitzedunst und Mückengesang hörte sie, wie das Gartentor geöffnet und wieder geschlossen wurde. Zerstreut zog sie eine Rockfalte über die nackten Beine und schaute auf; sie erwartete, entweder einen Küchenjungen oder Dolly Whitlow zu sehen, die sie am Ende eines jeden Tages hier abholte.
Die Gestalt, auf die ihre Blicke trafen, war jedoch keine ältliche Dienerin und kein zerlumpter Küchenjunge, sondern ein schlanker, junger, ganz in Grün gekleideter Mann, dessen weizengoldene Locken noch weit heller waren als die ihres seidenen Ritters. Ihr Herz schlug so stark, dass sie befürchtete, man müsse es sehen können. Alyson hielt das scharlachrot gewordene Gesicht über ihre Stickerei und wünschte sich sehnlichst, sie wäre anderswo. Ein Paar hübsch geschwungener Beine in einer bunten Hose hielten vor ihr an. Sie musste aufschauen; es wäre eine Beleidigung gewesen, ihn nicht zu beachten. Aber sie konnte einfach nicht aufschauen.
»Verzeihung, Mylady«, sagte eine sanfte Tenorstimme. »Ich fürchte, ich störe Euch.«
Alyson zuckte zusammen, stach sich in den Finger, ließ ihren Stickrahmen fallen und sah auf – falls möglich, noch erröteter als zuvor. »O nein, Sir«, stammelte sie. »Ich war nur …« Sie zerrte an ihren gebauschten Röcken und blickte scheu in sein hübsches Gesicht. Sein unerschütterliches Lächeln ermutigte sie ein wenig und sie bemerkte: »Der Thymian riecht hier so süß.«
William kniete sich und hob die Stickerei auf. »In der Tat habt Ihr Euch ein wohlriechendes Plätzchen für Eure Arbeit ausgesucht. Aber ich fürchte, dass das, was Ihr riecht, Zitronenduft ist. Seht, Ihr sitzt auf einer Bank aus Zitronenholz. Und hinter Euch befinden sich Salbei, lauchblättriger Bocksbart und Schwarzwurz. Der Thymian steht da hinten an der östlichen Mauer.« Er lächelte, drückte ihr die Stickarbeit in die Hand und verneigte sich zu einem anmutigen Abschiedsgruß.
»Wartet!«, rief Alyson; sie befürchtete schon, sie habe ihn fortgetrieben. Sein mit weißen und roten Blumen besticktes Wams schmiegte sich eng um seine schlanke Gestalt. Alyson wollte nicht, dass er schon ging, und suchte verzweifelt nach etwas, mit dem sie ihn aufhalten konnte. »Thomas Frith hat mir gesagt, dass Ihr ein besserer Koch als Master Hardy seid.« Sie hatte ihn nur loben wollen, aber es klang vorlaut. Erneut errötete sie.
William schüttelte den Kopf und lächelte. »Das ist nicht wahr, Mylady, aber es ist freundlich von ihm, so etwas zu sagen.«
»Er sagt auch, dass Ihr ein Kräutermeister seid und die Namen und Eigenschaften jeder Pflanze auf Gottes Erde kennt.«
»Nicht von jeder Pflanze, Mylady, aber von vielen. Wollt Ihr mehr wissen über die Kräuterwissenschaft?« Alyson nickte eifrig. Er setzte sich neben sie und pflückte einen Salbeischößling von dem Busch neben ihrer Schulter ab. »Das hier, Mylady, ist Salbei, den die
Weitere Kostenlose Bücher