Die Blume von Surinam
hatten, hatte Thijs die Ruderer angewiesen, das Boot auf der nächsten Sandbank auflaufen zu lassen. Dort angekommen, hatte er sich seiner Kleidung, bis auf das Unterbeinkleid, entledigt und war in den Fluss gesprungen. Wim hatte nicht lange überlegt und es ihm nachgetan. Das frische kühle Nass hatte den Juckreiz der zahlreichen Pusteln, die sich über Nacht gebildet hatten, sofort gelindert.
Während die Ruderer die Rast genutzt hatten, um ein paar Maniokfladen zum Frühstück zu verzehren, war Sarina um das Boot herumgewatet und hatte sich, hüfttief im Wasser stehend,gewaschen. Dankend hatten sie dann von den Ruderern ebenfalls ein paar Fladen entgegengenommen.
»Gleich, gleich wird man das Haus sehen können.« Thijs schirmte die Augen mit der Hand gegen die gleißende Sonne ab und blieb aufrecht im Boot stehen. Die Ruderer lenkten es derweil mehr und mehr in Richtung Ufer. Wim sah, dass aus dem Wasser ein hölzerner Anleger ragte. Im vorderen Bereich erkannte er lediglich gebrochene Latten, aber zum Ufer hin schien er noch intakt. Ein Haus aber sah er immer noch nicht.
»Da ist es.« Thijs packte Wim am Hemdsärmel und zog ihn auf die Beine. Wim konzentrierte sich zunächst darauf, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und hob dann den Blick.
Jetzt erkannte er die Spitze eines Daches, die aus dem satten Grün hervorschaute. Hohe Bäume und dichte Bananenstauden verwehrten den Blick auf die ehemalige Plantagenanlage.
Noch bevor einer der Ruderer auf den Anleger überwechseln konnte, war Thijs mit einem Sprung auf dem Steg gelandet und machte ein paar Schritte auf das Ufer zu. Wim geduldete sich, bis das Boot sicher vertäut war, und half dann zunächst Sarina auf den Steg. Federleicht glitt die Inderin an seiner Hand auf den Anleger und sah sich besorgt um. Wim schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln.
»Nun kommt!« Thijs konnte seine Ungeduld kaum verbergen. Er verschwand zwischen den mannshohen Gewächsen am Ufer. Wim und Sarina folgten ihm. Ein Trampelpfad deutete darauf hin, dass es hier noch Bewohner gab. Wim hoffte inständig, dass sie ihnen wohlgesonnen sein würden. Zwischen dem vielen Grün tauchte schemenhaft ein Gebäude auf, dessen Ausmaße umso ersichtlicher wurden, je näher sie herangingen. Wim hielt überrascht die Luft an. Direkt vor ihnen erhob sich ein großes Plantagenhaus, umsäumt von einer breiten Veranda. Lianen und wilde Orchideen umschlangen die hölzerne Balustrade. Moose hatten sich zu kleinen Teppichen auf dem Boden ausgebreitet.
»Es steht noch!« Thijs hielt ebenfalls inne.
»Wer ist da?«, ertönte plötzlich eine raue Stimme. Auf einem kleinen Pfad entlang der Veranda erschien eine alte, gebeugte Schwarze, die sich langsam, sich auf einen Stock stützend, auf sie zubewegte. Wim war überrascht. Jean hatte zwar angemerkt, dass vielleicht noch jemand auf der Plantage wohnte, aber wirklich damit gerechnet hatten sie nicht, immerhin war Jean schon sehr lange nicht mehr auf Watervreede gewesen.
Die Frau kam langsam näher und streckte nun den Kopf weit vor. Ihre Augen waren von einem grauen Schleier überzogen und sie schien schlecht sehen zu können. Thijs holte Luft und Wim bemerkte, dass seine Augen geweitet waren.
»Hestia? Hestia, bist du es?«, seine Stimme klang heiser.
Die Frau kam langsam näher und wiederholte: »Wer ist da?«
Thijs sprach lauter. »Hestia, ich bin es – Thijs.«
Die Frau blieb wie angewurzelt stehen und legte den Kopf schief, als wenn sie gerade etwas vernommen hätte, was sie nicht zu glauben wagte. Dann flüsterte sie: »Jesus … Masra Thijs?«
»Hestia«, Thijs ging auf die alte Schwarze zu, »ich wusste ja nicht, dass du noch hier bist!«
»Masra Thijs!« Hestia ließ ihren Stock fallen und streckte ihre alten Arme aus. Thijs ging vor ihr in die Knie und ließ sich von ihr in die Arme schließen.
»Hestia, ich bin wieder zu Hause.«
Kapitel 6
O h, … halt mich!«
Karini ergriff die Hand von Misi Gesine. Das Boot schwankte, auch weil Masra Jean sich sehr kraftvoll abgestoßen hatte, um auf den Anleger zu gelangen. Er schien froh, dass die Fahrt nun endlich vorüber war.
Genau wie Misi Gesine. Karini half ihr aus dem Boot. Auf dem Anlegesteg verharrte sie einen Augenblick schwankend und Karini fürchtete, sie würde jetzt doch noch ohnmächtig werden. Dann richtete sie sich jedoch auf und schaute mit pikiertem Blick umher.
»Das ist also eure Plantage?« Ihr Gesicht war blass, ihre sonst so korrekt frisierten Haare klebten in
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