Die Blume von Surinam
über Jeans Gesicht. »Wie geht es Erika. Gibt es eine Besserung?«
Julie betrachtete ihn liebevoll. Wie mitfühlend er doch war! Sie nickte. »Ja, es geht ihr besser, sie hat sogar mit mir geredet.« Allein der Gedanke an diesen kurzen Moment ließ den Ärger über Gesine verfliegen.
Kapitel 12
G leich hinter der Plantage Watervreede begann der Regen- wald. Wim stapfte tapfer hinter Thijs her, fühlte sich aber schon nach kurzer Zeit in dieser undurchdringlichen Pflanzenwelt unwohl. Thijs ging vorweg und hieb mit dem Schlagmesser den Weg frei. Wim ging dicht hinter ihm, den Sack mit ihrem Gepäck auf dem Rücken. Sie hatten sich schwere Stiefel und dicke Leinenhosen angezogen, trotzdem zerkratzten Dornen und Äste ihre Beine und auch den Rest des Körpers. Ein starker Regenschauer durchnässte sie zudem bis auf die Haut. Thijs aber schien von all dem unbeeindruckt.
»Pass auf, wo du hintrittst«, wies er Wim jetzt an, »und tritt vor allem nie auf irgendeinen Stock. Es könnte eine Schlange sein.«
Wim mühte sich nach Kräften, sah aber kaum den Boden zu seinen Füßen, da er fast gänzlich von Pflanzen bedeckt war. Er schwitzte erbärmlich, was Tausende von Stechmücken anzulocken schien.
»Lass dich von den Mücken einfach nicht ablenken«, lachte Thijs, als Wim wieder einmal beinahe ausgerutscht wäre, als er mit dem Gepäck auf dem Rücken nach den Insekten schlug.
Thijs ging unbeirrt voran, und Wim gab sich Mühe, es ihm gleichzutun. Und tatsächlich: Nach einiger Zeit machten ihm die lästigen Tiere nichts mehr aus. Wim hob den Kopf und sah sich um. Auf den ersten Blick wirkte alles um ihn herum grün, bei genauerer Betrachtung aber zeigte sich eine bunte Vielfalt des Lebens, die Wim kaum zu erahnen vermocht hatte. Auf den Blättern leuchteten kleine bunte Frösche, die erschrocken davonsprangen, sobald sie an ihnen vorbeigingen. Über ihren Köpfen flatterte und raschelte es beständig, und lautes Vogelgeschrei kündete sie weithin an. Große bunte Schmetterlinge begleiteten sie hin und wieder ein Stück, und aus weiter Ferne hörte Wim Geräusche vermeintlich größerer Tiere, die er nicht genau zu deuten wusste. Sicher war nur, dass er ihnen nicht begegnen wollte. Wim blickte angestrengt in die Baumkronen und erkannte hier und da sogar das verschreckte Gesicht eines kleinen Affen.
Und in diesem Moment, mit dem Rauschen der Blätter über sich, dem steten Geräusch des schneidenden Messers vor sich, den Schmetterlingen, der feuchten Luft und den leuchtenden Farben, spürte Wim wieder, dass er glücklich war. Er war stolz auf sich, dass er seinen Plan, nach Surinam zu reisen, wirklich in die Tat umgesetzt hatte, und er spürte, wie ihm das Leben hier, so beschwerlich es auch gerade war, guttat. Niemals hätte er gedacht, durch den Regenwald laufen zu müssen, nein, korrigierte er sich, durch den Regenwald laufen zu können , denn es ging ihm gut, körperlich wie seelisch. Mehr Abstand von den Niederlanden als in dieser Situation konnte er kaum bekommen. Abstand von den Zahlenkolonnen und Geschäftsberichten, Abstand von Erwartungen und Enttäuschungen, Abstand von Hendrik. Und von Gesine. Die Zeit ohne sie hatte ihm gutgetan, und er freute sich ganz und gar nicht auf ein Wiedersehen. Doch nun würde er eine Weile tagtäglich mit ihr zusammen sein – mit allem, was damit verbunden war.
»Pass auf, gleich kommen wir zum Fluss.« Thijs riss Wim aus seinen Gedanken. Einige Minuten später lichtete sich der Wald, und sie traten auf eine kleine Lichtung am Ufer. Wim war von der plötzlichen Helligkeit geblendet und musste mit der Hand seine Augen beschirmen. Der Ausblick, der sich ihm dann bot, war überwältigend.
Von Watervreede aus hatte man, eingerahmt von hohen Bäumen, nur einen Ausschnitt dessen gesehen, was sich hier offenbarte. Der Fluss lag in seiner vollen Breite vor ihnen, Schwärme bunter Papageien zogen den Flusslauf entlang, und direkt vor ihnen, in Ufernähe, lagen Inseln rotblühender Wasserpflanzen. Thijs fasste Wim am Arm und legte sich mit der anderen Hand einen Finger auf die Lippen, als Zeichen, leise zu sein. Dann deutete er zwischen die roten Blumeninseln. Wim sah zunächst nichts, dann aber entdeckte er an einer der Inseln ein Tier, ungefähr so groß wie ein Hund.
»Ein Wasserschwein«, flüsterte Thijs.
Wim beobachtete das Tier, das die Menschen am Ufer noch gar nicht bemerkt zu haben schien und nun unbeirrt näher heranschwamm. Wie ein Schwein sah es mit seinem graubraunen
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